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Umfang des subjektiven Rechtfertigungselements bei Fahrlässigkeitsdelikten







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Fahrlässigkeit; Rechtswidrigkeit; subjektives Element; subjektives Rechtfertigungselement


Problemaufriss


Bei Vorsatzdelikten herrscht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass es eines subjektiven Rechtfertigungselementes bedarf. Umstritten ist lediglich, welchen Anforderungen die subjektive Komponente genügen muss und was passiert, wenn dem Täter das subjektive Element fehlt. Bei Fahrlässigkeitsdelikten ist bereits umstritten, ob ein subjektives Rechtfertigungselement überhaupt erforderlich ist.


Beispiel: T reinigt seine Waffe und übersieht, dass diese geladen ist. Infolge der Unachtsamkeit löst sich ein Schuss, der den von T nicht erkannten Einbrecher O, welcher gerade dazu ansetzte A zu erschießen, tödlich trifft. Strafbarkeit des T nach § 222?


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach einer Meinung soll bei Fahrlässigkeitsdelikten das subjektive Rechtfertigungselement keine Rolle spielen (Engländer/Matt/Renzikowski; Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2020, § 34 Rn. 44; Leipziger Kommentar StGB/Rönnau, 13. Aufl. 2019, Vor § 32 Rn. 92). Lägen objektiv die Voraussetzungen einer Rechtfertigung vor, entfiele der bei Fahrlässigkeitsdelikten allein strafbare Erfolgsunwert (fahrlässiger Versuch ist nicht strafbar), wodurch kein strafbares Verhalten mehr gegeben wäre (LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 92). Es handele sich demnach um eine folgenlose Sorgfaltspflichtverletzung, die nicht bestraft werden könne (Münchener Kommentar StGB/Duttge, 4. Auflage 2020\, § 15 Rn. 202).


Kritik: Betrachtet man den Schutzzweck der Fahrlässigkeitsdelikte, so hat sich der Täter durch seine (folgenlose) Sorgfaltspflichtverletzung genauso gefährlich verhalten, wie diese es verlangen. Hätte T im Ausgangsfall zusätzlich einen Unbeteiligten getroffen, wäre eine Strafbarkeit unstreitig gegeben. Es erscheint sinnwidrig, dem Täter eine nur zufällig gerechtfertigte Tat zugutekommen zu lassen (Nomos Kommentar StGB/Paeffgen/Zabel, 5. Aufl. 2017, Vor §§ 32 ff. Rn. 144).


Ansicht 2:  Teilweise wird ein subjektives Rechtfertigungselement dergestalt verlangt, dass der Täter einen „generellen Verteidigungswillen oder Kenntnis der rechtfertigenden Situation und der Erforderlichkeit des Abwehrverhaltens“ hatte (NK/Paeffgen/Zabel, Vor §§ 32 ff. Rn. 144; wohl auch OLG Hamm NJW 1962, 1169, 1170). Das sorgfaltswidrige Verhalten des Täters begründet Handlungsunrecht, das durch die entsprewchend "rechtskonforme" Vorstellung des Täters kompenisert werden muss. Bei unbewusster Fahrlässigkeit genüge die potentielle Erkennbarkeit der oben genannten Voraussetzungen (Baumann/Weber/Mitsch/Eisele Strafrecht allgemeiner Teil, 13. Auflage 2021, § 14 Rn. 56 f.)


Kritik: Insbesondere bei der unbewussten Fahrlässigkeit stellt sich die Frage nach einem Verteidigungswillen insofern nicht, als man sich bei fehlendem Bewusstsein über einen möglichen Erfolgseintritt auch nicht vorstellen kann, dass dieser gerechtfertigt sein könnte (LK/Rönnau, Vor § 32 Rn. 92). Außerdem fehlt es bei Vorliegen der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen am Erfolgsunwert, es bleibt allein der Handlungsunwert und damit ein fahrlässiger Versuch, der nicht strafbar ist (Roxin Strafrecht AT I, § 24 Rn. 103). Würde der Erfolgsunwert im Ausgangsfall deshalb entfallen, weil T mit seinem Schuss gerade keinen Menschen trifft, so wäre in jedem Fall keine Strafbarkeit gegeben. Es darf keine Rolle spielen, aufgrund welcher Umstände kein Erfolgsunwert gegeben ist, sondern lediglich, dass dieser entfällt.















Die Seite wurde zuletzt am 10.4.2024 um 9.41 Uhr bearbeitet.



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