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Einsichtsfähigkeit nicht/beschränkt Geschäftsfähiger







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Einwilligung; Einsichtsfähigkeit; Urteilsfähigkeit; minderjährig; nicht geschäftsfähig; beschränkt geschäftsfähig; Geschäftsfähigkeit; Strafrecht; Zivilrecht; ultima ratio


Problemaufriss


Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung ist unter anderem, dass der Rechtsgutsinhaber einsichtsfähig ist, er also aufgrund seiner geistigen und sittlichen Reife die Tragweite seiner Entscheidung erkennen und beurteilen kann (Jäger Strafrecht AT, 10. Aufl. 2021, Rn. 140).


Fraglich ist, ob und – wenn ja – wann ein Minderjähriger die notwendige Einsichtsfähigkeit für eine solche rechtfertigende Einwilligung besitzt.


Hinweis: Wird die Einwilligung als Rechtfertigungsgrund gesehen (h.M.), so ist der Streit nur zwischen Ansicht 1 und 2 zu führen. Wird die Einwilligung auf Tatbestandsebene geprüft (m.M.), so sind die Kritieren der Ansicht 3 anzuwenden (siehe das entsprechende Problemfeld hier).


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach herrschender Meinung sei einzig die Fähigkeit des Einwilligenden maßgeblich, die Tragweite und Auswirkungen des fraglichen Eingriffs voll erfassen und beurteilen zu können. Die Geschäftsfähigkeit nach dem Bürgerlichen Recht sei für diese Frage nicht von Bedeutung. Bei mangelnder Einsichtsfähigkeit bedürfe es der Zustimmung durch den gesetzlichen Vertreter des Opfers (Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, Vor § 32 Rn. 27; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben StGB, 30. Aufl. 2019, Vor §§ 32 ff. Rn. 39 ff.; Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 9 Rn. 33; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 569 f.; BGHSt 12, 379).


Kritik:  Die Rechtsordnung widerspricht sich selbst, wenn der Geschäftsunfähige Vermögensteile zivilrechtlich nicht übertragen, er jedoch strafrechtlich in deren Zerstörung oder Entziehung einwilligen kann (MüKo StGB/Schlehofer, 4. Aufl. 2020, Vor §§ 32 ff. Rn. 179).


Ansicht 2: Nach anderer Auffassung wird differenziert: Bei Eingriffen in die höchstpersönlichen Rechtsgüter des Einwilligenden gelte die h.M., bei Einwilligungen in Vermögens- und Eigentumsdelikte seien hingegen die §§ 104 ff. BGB entsprechend anzuwenden mit der Folge, dass es für eine Rechtfertigung des Eingriffs der vollen Geschäftsfähigkeit bzw. der Einwilligung durch den gesetzlichen Vertreter bedürfe (MüKo/Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rn. 179)


Kritik: Eine Einwilligung stellt kein Rechtsgeschäft dar, sondern allenfalls eine Rechtshandlung, auf die die Regelungen zur Geschäftsfähigkeit nicht anzuwenden sind. Außerdem könnte der Minderjährige nach dieser Auffassung zwar in die Verletzung seines Körpers, nicht aber in die seines Eigentums wirksam einwilligen, was in Bezug auf die Gewichtung der Rechtsgüter einen Wertungswiderspruch darstelle. Zudem verfolgen Straf- und Zivilrecht in bestimmten Punkten unterschiedliche Zielsetzungen (Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben StGB, vor §§ 32 ff. Rn. 39; Lesch NJW 1989, 2309, 2310).


Ansicht 3:  Die aus rechtsgutsorientierter Sicht (Roxin/Greco Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, § 13 Rn. 12 ff.) vorzugswürdige Auffassung, nach welcher die Einwilligung nicht rechtfertigend, sondern stets tatbestandsausschließend wirke, differenziert zwischen den Delikten, in denen die Einwilligung als Tatbestandsausschließungsgrund neben die übrigen Tatbestandsmerkmale tritt, und den Delikten, in denen die Einwilligung bereits die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandsmerkmals ausschließt. Für Erstgenannte sei der Maßstab der herrschenden Auffassung anzulegen. Für Letztgenannte ist der erforderliche Maßstab der Einwilligungsfähigkeit hingegen dem einzelnen Delikt selbst zu entnehmen (so ist beim Diebstahl (§ 242) allein der natürliche Wille des Opfers über das Vorliegen einer Wegnahme erforderlich, während eine wirksame Einwilligung in eine Beleidigung (§ 185) erfordert, dass der Adressat das Ehrenrührige der Bemerkung sowie den sozialen Wert der persönlichen Ehre verstanden hat).















Die Seite wurde zuletzt am 8.4.2024 um 11.40 Uhr bearbeitet.



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