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Die Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung







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Einwilligung; Einverständnis; Differenzierung; Unterschied; Tatbestand; Rechtswidrigkeit; Rechtfertigung; tatbestandsausschließend; rechtfertigend


Problemaufriss


Ein Eingriff in die Rechtsgüter einer Person, der mit deren Willen erfolgt, ist kein Unrecht, da eine Handlung, die auf der Disposition des Rechtsgutsträgers beruht, die freie Entfaltung nicht beeinträchtigt, sondern vielmehr deren Ausdruck ist. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn eine Beschränkung der individuellen Freiheit im Allgemeininteresse zwingend geboten ist.


Im Zusammenhang mit dem der Tat nicht entgegenstehenden Willen des Opfers werden regelmäßig die Begriffe der Einwilligung und des Einverständnisses genannt. Fraglich ist jedoch, ob überhaupt – und wenn ja, wie – zwischen diesen Begriffen zu differenzieren ist.


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach bislang vorherrschender Meinung (erstmalig Geerds GA 1954, 262; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 553 ff.; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, Vor § 32 Rn. 18 ff.; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 30. Aufl. 2023, Vor § 32 Rn. 10 f.; Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 23 Rn. 3) ist zwischen Einverständnis und Einwilligung zu differenzieren


Das Einverständnis wirke tatbestandsausschließend: Das sei nur für die Delikte möglich, bei denen ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Opfers bereits im Tatbestand vorgesehen ist. Stimme das Opfer zu, so sei schon der Tatbestand des Delikts nicht gegeben. Maßgeblich soll dabei der natürliche Wille des Opfers sein, der nicht nach außen dringen muss. Willensmängel (Irrtum, Täuschung, Zwang) des Opfers sollen sich auf die Wirksamkeit des Einverständnisses nicht auswirken. Handele der Täter in Annahme des Vorliegens eines Einverständnisses, so irre er über das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals, weshalb gem. § 16 der Vorsatz entfalle.


Die Einwilligung hingegen wirke rechtfertigend: Setze der Tatbestand eines Delikts nicht notwendigerweise ein Handeln gegen oder ohne den Willen des Opfers voraus, so bleibe trotz seiner Billigung das Täterverhalten tatbestandsmäßig. Die Tatbestandsverwirklichung werde jedoch durch die Einwilligung des Opfers gerechtfertigt. Anders als beim Einverständnis sollen hier eine ausdrückliche Kundgabe des Willens sowie eine entsprechende Einsichtsfähigkeit des Opfers vorausgesetzt sein. Willensmängel beim Opfer schließen eine wirksame Einwilligung aus. Nehme der Täter irrtümlich an, sein Gegenüber hätte in die Handlung eingewilligt, unterliege er einem Erlaubnistatumstandsirrtum (Rechtsfolgen streitig).


Begründet wird diese Differenzierung mit dem Wortlaut des § 228. Danach handele der Täter bei einer Körperverletzung mit Einwilligung des Verletzten nur dann rechtswidrig, "wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt".


Beispiele: § 123: "Eindringen" bedeutet das Betreten des Raumes ohne oder gegen den Willen des Berechtigten. Wird der Raum im Einklang mit dem Willen des Berechtigten betreten, sei § 123 schon tatbestandlich nicht gegeben. Bei § 223 wird ein entgegenstehender Wille dagegen nicht vorausgesetzt, weshalb lediglich eine rechtfertigende Einwilligung in Betracht komme, wenn das Opfer der Körperverletzung zustimme.


Kritik: Im System der Rechtfertigungsgründe, die maßgeblich auf den Prinzipien der Interessenabwägung und der Erforderlichkeit beruhen, stellt die Einwilligung einen Fremdkörper dar. Rechtfertigungsgründe sorgen im Konflikt widerstreitender Interessen für die "Verteidigung" des überwiegenden Interesses. Bei der Einwilligung aber geht es nicht um Konfliktsituationen, da der Rechtsgutsträger sein Interesse am Rechtsgut aufgibt. Schließlich zeigen die zahlreichen Fälle, in denen die Abgrenzung zwischen Einverständnis und Einwilligung gerade umstritten ist, dass eine klare Grenzziehung letztlich nicht möglich und die Zweiteilungslehre damit nicht durchführbar ist. Dass bereits der Gesetzeswortlaut des § 228 der Einwilligung rechtfertigende Wirkung zumisst, ist so nicht zutreffend. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 5 ist eine "rechtswidrige Tat nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht". "Rechtswidrig" in § 228 kann also auch als "tatbestandsmäßig-rechtswidrig" gelesen werden (Münchener Kommentar StGB/Schlehofer, 4. Aufl. 2020, Vor § 32 Rn. 147).


Ansicht 2: Nach anderer im Vordringen befindlicher Auffassung (Münchener Kommentar StGB/Schlehofer, Vor § 32 Rn. 146 ff.; Weigend ZStW 98 [1986], 44, 60 f.; Roxin/Greco Strafrecht AT I, § 13 Rn. 11 ff.) gebe es für diese systematische Differenzierung weder hinsichtlich der Voraussetzungen noch hinsichtlich der Rechtsfolgen einen plausiblen Grund. Daher werde nicht zwischen Einwilligung und Einverständnis differenziert. Beide sollen tatbestandsausschließend wirken. Dies folge aus dem Gedanken der auf das Individuum bezogenen Rechtsgutslehre. Danach dienen Rechtsgüter der freien Entfaltung des Individuums, sodass diese freie Entfaltung nicht verletzt würden, sofern die Zustimmung des Rechtsgutsträgers gegeben sei. Übersetzt man dies in dogmatische Kategorien, so würden bei einer wirksamen und dem Täter bekannten Einwilligung der Erfolgs- und mit ihm der Handlungsunwert sowie der Deliktstyp entfallen. Eine Handlung könne daher nicht tatbestandsmäßig sein.


Kritik: Eine Rechtfertigung ist vorzugswürdig, weil derjenige, der einen vom Wortlaut des Tatbestandes erfassten abstrakt-generell verbotenen Eingriff in die Rechtsgüter eines anderen vornimmt, zumindest einen abstrakten Unwert verwirklicht, dessen Beseitigung erst auf einer zweiten, nämlich der Rechtfertigungsebene erfolgen kann (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 556).


Hinweis zum Klausuraufbau: Da es sich vorliegend um einen Aufbaustreit handelt, ist ein solcher in der Klausur nicht zu führen. Die Fragen rund um die Einwilligung sind – je nach gefolgter Ansicht – entweder im Tatbestand oder der Rechtswidrigkeit zu thematisieren. Wenn auch die hier vertretene Ansicht von einer Prüfung der Einwilligung auf Ebene des Tatbestandes ausgeht, so werden die meisten Klausuren in ihrer Lösung von der Prüfung i.R.d Rechtswidrigkeit ausgehen.
 Eine Ausnahme, wann der Streit zu führen und zu entscheiden ist, ist wenn der Täter über das Vorliegen der Zustimmung irrt. Je nach Ansicht, unterläge der Täter einem Erlaubnistatbestandsirrtum (nach h.M.) oder einem Tatbestandsirrtum (nach m.M.).
 Unabhängig von der Prüfungsrelevanz in einer Klausur kann Kenntnis dieses Problemfeldes, z.B. für die mündliche Prüfung, von Bedeutung sein.















Die Seite wurde zuletzt am 15.4.2024 um 9.20 Uhr bearbeitet.



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