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Genügt dringender Tatverdacht für § 127 I StPO?







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Festnahme; Zivilfestnahme; frische Tat; begangene Straftat; dringender Tatverdacht; Privatperson; Rechtfertigung


Problemaufriss
Gem. § 127 I StPO ist jedermann zur Festnahme eines auf frischer Tat Betroffenen berechtigt. Umstritten ist jedoch, ob die Festnahmelage schon gegeben ist, wenn lediglich ein dringender Tatverdacht vorliegt oder ob die Tat tatsächlich begangen worden sein muss.


Problembehandlung


Ansicht 1: Gegenüber einer staatlichen Strafverfolgungsbehörde sei es einer unschuldigen Person zumutbar, eine (kurzfristige) Einbuße an Freiheitsrechten zu dulden. Dies gelte jedoch nicht für Private, die bloß subjektiv von der Täterschaft des Festgenommenen überzeugt sind. (Satzger Jura 2009, 107, 110).  Dem Festnehmenden obliegt in einer solchen Situation keine Festnahmepflicht, sodass es keine ausreichende Grundlage gäbe, die es rechtfertigt, dem Privaten so weitreichende Festnahmebefugnisse zuzugestehen und die Verfolgung den Amtsträgern zu überlassen ist (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 618). Eine Rechtfertigung sei also nur bei wirklich begangener Straftat möglich. Das ergebe sich auch aus systematischer Sicht: Würde auch für § 127 I StPO ein dringender Tatverdacht genügen, wäre die gesonderte Aufführung in § 127 II i.V.m. § 112 StPO im Wesentlichen überflüssig (SatzgerJura 2009, 107, 109).


Kritik: Die Ausübung des Festnahmerechts durch Private stellt einen Einsatz des Bürgers im Rahmen einer öffentlichen und damit dem Staat obliegenden Aufgabe dar. Von der im staatlichen Interesse handelnden Privatperson kann jedoch nicht mehr verlangt werden als die Beachtung der objektiv gebotenen Sorgfalt (Rengier Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 22 Rn. 10). Da der Bürger nicht im Eigeninteresse handelt, sondern eine quasiöffentliche Aufgabe wahrnimmt, ist es unbillig ihm das Irrtumsrisiko aufzubürden (Karlsruher Kommentar StPO/Glaser, 9. Aufl. 2023, § 127 Rn. 9). Zudem besteht faktisch nie eine absolut sichere Erkenntnismöglichkeit, weshalb es zu einer Überforderung des Festnehmenden käme. Eine solche Überforderung könnte ein Leerlaufen der Vorschrift bewirken, was wohl im Gegensatz zur Intention des Gesetzgebers, der Sicherung der Durchführung des Strafverfahrens durch die Beteiligung der Bevölkerung, stünde. (Löwe-Rosenberg/Hilger StPO, 27. Aufl. 2019, § 127 Rn. 12)


Ansicht 2: Nach der Verdachtslösung genüge zur Rechtfertigung bereits ein dringender Tatverdacht i.S.d. § 112 StPO, wenn der Festnehmende nach pflichtgemäßer Prüfung der erkennbaren Umstände zu einer derartigen Überzeugung gelange (KK/Glaser, § 127 Rn. 9; LR/Hilger, § 127 Rn. 9; BGH NJW 1981, 745). Die vorläufige Festnahme beruhe auf einer Augenblickentscheidung, in der nicht der gesamte Sachverhalt übersehen werden kann, sodass keine zu hohen Anforderungen an den festnehmenden gestellt werden dürften. (Münchener Kommentar StPO/Münch/Werner, 1. Auflage 2014, § 127 Rn. 8)


Kritik: Dem Amtsträger obliegt die Bewahrung und Durchsetzung der Rechtsordnung, während für eine Privatperson keine Handlungspflicht und damit auch keine Festnahmepflicht besteht (Schlüchter JR 1987, 309, 310; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 618). Im Fall der Festnahme eines Unschuldigen greift zugunsten des Privaten die Konstruktion des Erlaubnistatumstandsirrtums ein; über die zu diesem von der herrschenden Auffassung vertretene Rechtsfolge ist der festnehmende Private ausreichend geschützt (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 9 Rn. 86).






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Die Seite wurde zuletzt am 14.4.2024 um 19.42 Uhr bearbeitet.



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