Actio illicita in causa
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Notwehr; Gebotenheit; Einschränkung des Notwehrrechts; Fahrlässigkeitsstrafbarkeit; Vorverhalten; Provokateur; Provokation; Rechtfertigung; Zurechenbarkeit; a.i.i.c; actio illicita in causa
Problemaufriss
Beispiel: S ist mal wieder auf einer Schlägertour. Da er aber Jura studiert, möchte er nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Deswegen macht er den ganzen Abend dem Z gegenüber anzügliche Bemerkungen über das abwechslungsreiche Privatleben von dessen Freundin. Wie erwartet hält es Z nicht mehr länger aus und greift den S an. Genau darauf hat S gewartet, um Z sodann k.o. zu schlagen.
Hier handelt S im Rahmen der Notwehr gem. § 32, indem er sich gegen den von Z ausgehenden gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff wehrt (strittig, zur Einschränkungen der Notwehr in den Fällen der Absichtsprovokation vgl. das entsprechende Problemfeld).
Fraglich ist, ob eine Bestrafung nach der Rechtsfigur der actio illicita in causa (eine im Ursprung verbotene Tat) möglich ist.
Problembehandlung
Ansicht 1: Eine Bestrafung nach den Grundsätzen der actio illicita in causa ist möglich (Bertel ZStW 84 (1972), 14 ff.; Fischer StGB, 67. Aufl. 2020, § 32 Rn. 46; der BGH lehnte eine Bestrafung nach der actio illicita in causa erst ab [BGH NJW 1983, 2267], um sie dann der Sache nach in einer neueren Entscheidung [BGH NJW 2001, 1075] doch anzuerkennen). Die Rechtswidrigkeit jeder zum Erfolg führenden Handlung muss einzeln untersucht werden (Frister Strafrecht AT, 9. Aufl. 2020, 14. Kapitel Rn. 6, 16. Kapitel Rn. 32).
Zum Beispiel: Die Abwehr des Angriffs durch S ist durch Notwehr gerechtfertigt. Allerdings wird eine Strafbarkeit durch ein Anknüpfen an sein Vorverhalten (die anzüglichen Bemerkungen) erreicht. Er hat sich gem. § 223 strafbar gemacht (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 242 f.). Eine andere Möglichkeit wäre, zu einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229) zu gelangen (vgl. BGH NJW 2001, 1075).
Kritik: Nach der a.i.i.c. wäre dieselbe Handlung sowohl rechtmäßig als auch rechtswidrig. Rechtmäßig aufgrund einer Rechtfertigung durch Notwehr, rechtswidrig aufgrund eines durch die actio illicita in causa in Gang gesetzten Vorsatzdelikts. Die Rechtfertigung wird also nur "scheinhaft zugebilligt". Eine solche Konstruktion ist widersprüchlich (Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 68).
Gegen die Ansicht der Rechtsprechung, die trotz Rechtfertigung zu einer Verurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts kommt (BGH NJW 2001, 1075), spricht, dass für die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht nur eine Kausalität zwischen Handlung und Erfolg vorliegen muss, sondern der Erfolg dem Täter auch objektiv zurechenbar sein muss. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn sich das durch die Handlung gesetzte rechtlich missbilligte Risiko im Erfolg verwirklicht. Die Zurechenbarkeit ist hingegen ausgeschlossen, wenn ein erlaubtes Zwischenstadium eintritt. Dies ist aber genau dann der Fall, wenn die Handlung des Angegriffenen durch § 32 gerechtfertigt ist (Leipziger Kommentar StGB/Rönnau/Hohn, 12. Aufl. 2006, § 32 Rn. 257).
Eine Aufteilung in einen rechtswidrigen Veranlassungs- und einen rechtmäßigen Notwehr-Teil ist zwar denkbar, eine Bestrafung ist jedoch nur möglich, wenn die rechtswidrige Vorhandlung auch zu einem Unrechtserfolg geführt hat. Dieser liegt aber nicht vor, wenn die Notwehrhandlung gerechtfertigt war. Der übrig bleibende fahrlässige Handlungsunwert begründet allein keine Strafbarkeit. Ein und derselbe Erfolg kann nicht zugleich rechtmäßig und rechtswidrig sein (Roxin JZ 2001, 667, 668).
Ansicht 2: Die Rechtsfigur der actio illicita in causa ist abzulehnen (Leipziger Kommentar StGB/Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 257; Roxin Strafrecht AT I, § 15 Rn. 68; BGH NJW 1983, 2267).
Zum Beispiel: S ist nicht nach den Grundsätzen der a.i.i.c haftbar zu machen. Damit wäre seine Notwehrhandlung gem. § 32 gerechtfertigt. Jedoch werden auch andere Einschränkungen der Notwehr für die Fälle der Absichtsprovokation diskutiert (vgl. das entsprechende Problemfeld).
Kritik: Um zu einer Strafbarkeit des Provokateurs zu gelangen, könnte dergestalt an sein Vorverhalten angeknüpft werden, dass die Provokation als Tathandlung eines Fahrlässigkeitsdelikts behandelt wird (Münchener Kommentar StGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 32 Rn. 228; BGH NStZ 2001, 143, 144 f.). Das Verhalten des in Notwehr Handelnden lässt sich also in eine rechtswidrige Veranlassungs- und einen rechtmäßigen Notwehr-Teil auftrennen (Fischer StGB 67. Auflage 2020, § 32 Rn. 46a). Der Provokateur benutzt sich als rechtmäßig handelndes Werkzeug, um die Tat zu begehen. Er soll ebenso wenig straffrei ausgehen, wie jemand, der sich bewusst in einen die Schuld ausschließenden Zustand versetzt (vgl. dazu die Grundsätze der actio libera in causa). Das Notwehrrecht würde zu einer Pflicht, Angriffe zu erdulden und damit in sein Gegenteil verkehrt (Hillenkamp/Cornelius 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 15. Aufl. 2017, 2. Problem lit. C).
Andere Ansichten zur Absichts- und Abwehrprovokation werden in den entsprechenden Problemfeldern erörtert.
Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.27 Uhr bearbeitet.
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