Zurück

Einschränkung des Notwehrrechts im Rahmen der Gebotenheit bei Angriffen von vermindert schuldhaft Handelnden







Tags


Notwehr; Einschränkung; Gebotenheit; schuldlos Handelnde; vermindert Schuldfähige


Problemaufriss


Nach dem Bejahen der Notwehrlage kommt es im Rahmen der Notwehrhandlung zur Prüfung der Gebotenheit. Dieses Merkmal dient der sozialethischen Restriktion der Notwehr (Frister Strafrecht AT, 10. Aufl. 2023, § 16 Rn. 27).
Bei Angriffen von erkennbar schuldlos Handelnden, also Kindern bis zum vollendeten 14. Lebensjahr (vgl. § 19), Personen, die wegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer anderen schweren seelischen Abartigkeit nicht zur Einsicht des Unrechts in der Lage sind (vgl. § 20), oder ersichtlich Irrenden geht die ganz h.M. von einer Einschränkung des Notwehrrechts nach der Drei-Stufen-Theorie aus. (Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 18 Rn. 66 f.; Kindhäuser/Zimmermann Strafrecht AT, 11. Aufl. 2024, § 16 Rn. 46; BGH NJW 1999, 2301). Zunächst müssen alle Flucht- und Ausweichmöglichkeiten ausgenutzt werden. Wo jedoch keine Ausweichmöglichkeit besteht, ist eine defensive Schutzwehr immer zulässig. Nur als letztes Mittel und unter größtmöglicher Schonung des Angreifers ist es möglich, zur aggressiven Trutzwehr überzugehen (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 532). Begründet wird dieses dreistufige Vorgehen (Ausweichen, Schutzwehr, Trutzwehr) damit, dass es dem Betroffen vielfach möglich ist, schuldlos Handelnden auszuweichen und diese in ihre Schranken zu verweisen, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Trutzwehr bedarf. Außerdem greifen schuldlos Handelnde die Geltung der Rechtsordnung nicht in dem Maße an, wie ein schuldhaft Handelnder es tut. Das Recht muss sich daher nicht in gleicher Weise bewähren. (Rengier Strafrecht AT, § 18 Rn. 66; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 532).
 
Umstritten ist, ob dies auch für die Verteidigung gegenüber Personen gilt, die gem. § 21 in ihrer Schuld nur wesentlich gemindert sind, nicht aber schuldlos handeln.
 
Beispiel: A läuft über die Straße. Der vierzehnjährige betrunkene B kommt ihm schwankend entgegen, zieht ein Messer aus seiner Tasche und droht dem A, ihn damit zu verletzen. A droht dem B seine Pistole, die er immer bei sich trägt, zu benutzen. B reagiert nicht. A gibt einen Warnschuss ab und schießt, nachdem B sich weiter näherte, in den Arm des B.
 
Problembehandlung


Ansicht 1: Nach h.M. gilt das dreistufige Vorgehen grundsätzlich auch für vermindert Schuldfähige, denn auch bei diesen bestehe nur ein eingeschränktes Rechtsbewährungsinteresse (Kindhäuser Strafrecht AT, § 16 Rn. 48; Roxin/Greco Strafrecht AT I, 5. Aufl. 2020, § 15 Rn. 64).
 
Ansicht 2: Einer anderen Ansicht nach muss in diesen Fällen nur auf eine "gewisse Proportionalität" bei der Verteidigung geachtet werden (Schönke/Schröder/Perron/Eisele StGB, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 52).
 
Kritik: Diese Ansicht ist unpraktikabel, da der Angegriffene zwar oft erkennen kann, dass der Angreifer ein Kind ist, psychische Ausfallerscheinungen zeigt, oder glaubt, dass er sich im Recht befindet. Er wird aber zumindest in Fällen von Trunkenheit oder psychischer Störung nicht feststellen können, ob ein Täter gem. § 20 schuldunfähig oder gem. § 21 vermindert schuldfähig ist, da hierzu oft medizinische und psychiatrische Gutachten eingeholt werden müssen (Roxin/Greco Strafrecht AT I, § 15 Rn. 64).















Die Seite wurde zuletzt am 22.4.2024 um 9.47 Uhr bearbeitet.



0 Kommentare.

Fragen und Anmerkungen: