Tötung zur Verteidigung von Sachwerten?
Tags
Notwehr; Einschränkung; EMRK; Tötung; Sachwerte; Verhältnismäßigkeit
Problemaufriss
Grundsätzlich ist im Falle der Notwehr keine Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Abwägung zwischen dem angegriffenen und dem von der Verteidigungshandlung betroffenen Rechtsgut vorgesehen. Dies ist gerade ein Charakteristikum des "schneidigen" Notwehrrechts. Nach diesem Grundsatz wäre auch eine zum Schutz des Eigentums erforderliche Tötung gerechtfertigt, sofern es sich nicht um einen Fall des krassen Missverhältnisses handelt. Eine Einschränkung könnte sich jedoch aus Art. 2 II a EMRK ergeben, welcher die Tötung eines Menschen lediglich dann nicht als Verletzung des Rechtes auf Leben wertet, "wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen".
Problembehandlung
Ob aus Art. 2 II a EMRK eine Einschränkung des Notwehrrechts folgt, ist umstritten.
Ansicht 1: Art. 2 II a EMRK schränke zumindest das Notwehrrecht Privater nicht ein. Denn die EMRK binde nur die staatliche Gewalt (Kühl StrafR AT, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 118; Fischer StGB, 71. Aufl. 2024, § 32 Rn. 40).
Kritik: Die Bedeutung des Rechts auf Leben und Gebot des effektiven Lebensschutzes verlangen, dass die gesamte Rechtsordnung an diesen Prinzipien ausgerichtet wird. Über Art. 2 II 1 GG wirkt die Beschränkung durch die EMRK in das deutsche Notwehrrecht hinein (Schönke/Schröder/Perron/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 32 Rn. 62; Zieschang GA 2006, 415, 419).
Ansicht 2: Art. 2 II a EMRK verlange einen effektiven Lebensschutz. Der Staat müsse seine ganze Rechtsordnung nach diesem Prinzip ausrichten. Daher schränke die Vorschrift das Notwehrrecht auch von Privaten ein. Nur zum Schutz von Leben, Leib und möglicherweise Freiheit kann eine Tötung gerechtfertigt sein (Schönke/Schröder StGB/Perron/Eisele, § 32 Rn. 62).
Kritik: Das Handeln des Staates kann durchaus stärkeren Beschränkungen unterliegen als das Handeln Privater. Außerdem betrifft die EMRK nur das Staat-Bürger-Verhältnis und nicht das Verhältnis zwischen den Bürgern, da sie unangemessene Übergriffe des Staates auf den Einzelnen verhindern soll (MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2020, § 32 Rn. 22). Möglicherweise könnte die EMRK aber eine Drittwirkung entfalten, die im Sinne einer "objektiven Werteordnung" auch unter Privaten gilt. Eine solche Drittwirkung hängt jedoch von der Reichweite der Garantien ab. Der Staat ist nicht verpflichtet sein ganzes Rechtssystem den Regelungen der EMRK anzupassen, er muss nur den Kernbereich der Regelungen zur Geltung bringen. Auch eine mittelbare Auswirkung der EMRK auf das Verhältnis der Bürger untereinander würde ihrem Ziel, dem Schutz vor staatlichen Übergriffen, nicht mehr gerecht (MüKoStGB/Erb, § 32 Rn. 24; Wessels/Beulke/Satzger AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 528 ff.).
Ansicht 3: Art. 2 II a EMRK schränke das Notwehrrecht nur hinsichtlich absichtlicher oder wissentlicher Tötungen ein. Dies ergebe sich aus dem maßgeblichen englischen und französischem Wortlaut. Handlungen mit bedingtem Tötungsvorsatz seien vom Wortlaut des Artikels nicht umfasst. Bei der Verteidigung von Sachwerten komme es dem Verteidigenden jedoch im Regelfall vor allem darauf an, die Sache wieder zu erlangen. Die Tötung erfolge dann regelmäßig nur mit dolus eventualis. Falls der Verteidigende doch mit direktem Vorsatz tötet, so sei bereits die Erforderlichkeit zweifelhaft (Roxin/Greco StrafR AT I, 5. Aufl. 2020, § 15 Rn. 88; Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 530).
Kritik: Auch gegen diese Ansicht spricht das Gebot des effektiven Lebensschutzes. Das Hauptanliegen der Konvention ist, staatlicher Gewalt gegen Bürger enge Grenzen zu setzen. Daher darf der Wortlaut nicht zu eng ausgelegt werden. Dies wird auch durch den EGMR bestätigt, der zumindest bei staatlichen Eingriffen den Schutzbereich von Art. 2 EMRK nicht auf vorsätzliche Tötungen beschränkt (Ambos Internationales Strafrecht, 5. Aufl. 2018, § 10 Rn. 113; Schönke/Schröder/Perron/Eisele StGB, § 32 Rn. 62). Aus dem Wortlaut der in Art. 2 II b EMRK festgelegte Ausnahme vom Tötungsverbot für Festnahmen ergibt sich eindeutig, dass auch nicht absichtliche Tötungen erfasst sein sollen (Frister StrafR AT, 10. Aufl. 2023, 16. Kapitel Rn. 29).
Die Seite wurde zuletzt am 22.5.2024 um 10.23 Uhr bearbeitet.
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