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Nötigungsnotstand

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### Tags Nötigung; Notstand; Nötigungsnotstand; Entschuldigung; Rechtfertigung; § 34; § 35 ### Problemaufriss Der Nötigungsnotstand beschreibt eine Dreieckskonstellation, in der ein Dritter durch eine Nötigung (§ 240) eine gegenwärtige Gefahr hervorruft, durch die der Genötigte zu einem Eingriff in die Rechtsgüter des Opfers gezwungen werden soll. **Beispiel:** A wird mit einer von B vorgehaltenen Pistole dazu genötigt, die Fensterscheibe des C einzuwerfen. Es ist umstritten, ob der genötigte Täter sich bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nach § 34 gerechtfertigt ist oder ob der Nötigungsnotstand nur nach § 35 entschuldigt werden kann. ### Problembehandlung **Ansicht 1:** Nach einer Ansicht soll beim Nötigungsnotstand eine Rechtfertigung aufgrund übergeordneter Rechtsprinzipien ausgeschlossen sein. Selbst wenn das dem Genötigten angedrohte Übel, das durch die Verwirklichung des Straftatbestandes verwirklichte Interesse wesentlich überwiegt, sei die Tat des Genötigten rechtswidrig. Es bliebe lediglich die Möglichkeit einer **Entschuldigung** unter den Voraussetzungen des **§ 35** (Schönke/Schröder/<em>Perron</em>, 30. Aufl. 2019, § 34 Rn. 41b; <em>Kühl</em> StrafR AT, 8. Aufl. 2017, § 8 Rn. 127 ff.; *Wessels/Beulke/Satzger* AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 699). <strong>Kritik:</strong> § 35 erfasst nur Handlungen zur Abwendung einer Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen nahestehenden Person. Wenn dem Genötigten jedoch mit der Tötung eines Dritten gedroht wird, der nicht in den geschützten Personenkreis fällt, so wäre er, wenn er sich zur Rettung des Dritten entscheidet, wegen der abgenötigten Tat strafbar; würde er die Rettung des Dritten unterlassen, wäre er wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar (<em>Frister</em> Strafrecht AT, 10. Aufl. 2023, 17. Kapitel Rn. 19). Des Weiteren ist der Kreis der von § 35 geschützten Rechtsgüter enger gefasst, so dass bspw. die Nötigung durch Androhung von Sachbeschädigungen nie entschuldigt wäre. **Ansicht 2:** Nach anderer Ansicht ist eine zur Abwendung eines angedrohten Übels begangene Straftat nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen wie eine Straftat zur Abwendung anderer Gefahren. Sie sei dann nach <strong>§ 34 gerechtfertigt</strong>, wenn das drohende Übel das durch die Straftat beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiege. Das Opfer der abgenötigten Handlung müsse diese ebenso dulden wie sonstige Beeinträchtigungen seiner Rechtsgüter, sofern sie zum Schutz wesentlich überwiegender Interessen erforderlich sind (<em>Frister</em> Strafrecht AT, 17. Kapitel Rn. 20.; *Stratenwerth/Kuhlen* Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 9 Rn. 105; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele/<em>Mitsch</em> Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 15 Rn. 106.). **Kritik:** Gegen eine durch Nötigung erzwungene Tat wäre keine Notwehr gem. § 32 möglich, da der Genötigte selbst nach § 34 gerechtfertigt wäre (<em>Wessels/Beulke/Satzger</em> Strafrecht AT, Rn. 699 f.). Dem Opfer der abgenötigten Tat so pauschal eine Duldungspflicht aufzuerlegen ist unverhältnismäßig, auch die Solidaritätspflicht hat ihre Grenzen. **Ansicht 3:**   Nach einer <strong>differenzierenden Ansicht</strong> müsse nicht schablonenartig entweder § 34 oder § 35 angewandt werden. Man müsse im Einzelfall abwägen: Dem Genötigten solle nicht stets die Rechtfertigung versagt werden, denn bei geringeren Eigentumseinbußen aufseiten des Notstandspflichtigen sei durchaus von einer Solidaritätspflicht auszugehen, wenn dem Genötigten dadurch das Leben erhalten oder schwere Verletzungen erspart bleiben. (MüKo StGB/<em>Erb,</em> 4\. Auflage 2020\, § 34 Rn\. 194; Matt/Renzikowski<em>/Engländer</em>, 2. Aufl. 2020, § 34 Rn. 41; <em>Pawlik</em>, Der rechtfertigende Notstand, 2002, S. 299 ff.). Die Rechtfertigungslösung habe ihre Grenzen jedoch dort, wo die Solidaritätspflicht massiv überstrapaziert werde, weil sich der Notstandspflichtige aufgrund der Duldungspflicht beispielsweise nicht mehr des eigenen Lebens oder wesentlicher Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit oder Freiheit erwehren dürfte. Die angemessene Lösung halte in solchen Fällen § 35 bereit (<em>Rengier</em> Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 19 Rn. 54).

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