Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme bei Unterlassungsdelikten
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Beihilfe; Unterlassen; unechtes Unterlassungsdelikt; Täterschaft; Teilnahme; Beteiligung; Beteiligung durch Unterlassung; Abgrenzung
Problemaufriss
Bei einer „Beteiligung durch Unterlassen“ geht es um einen handlungspflichtigen Garanten, der es unterlässt, gegen eine aktive Begehung einer Straftat durch einen Dritten, einzuschreiten. Hier kommt sowohl eine Täterschaft durch Unterlassen sowie eine Beihilfe durch Unterlassen in Frage (Rengier Strafrecht AT, 16. Aufl. 2024, § 51 Rn. 11). Wie auch bei Allgemeindelikten (siehe dazu das entsprechende Problemfeld) ist auch bei Unterlassungsdelikten die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme umstritten.
Beispiel: Die M möchte ihre Tochter T durch Aushungern umbringen. Das berichtet sie auch dem Vater der T, der in einem anderen Stadtteil wohnt. Dieser unternimmt nichts (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 54. Aufl. 2024, Rn. 1214).
Folgendes Prüfungsschema kann im Gutachten behilflich sein:
A. Vorliegen eines vorsätzlichen Begehungsdeliktes
B. Prüfung der Strafbarkeit als Täter durch Unterlassen
I. Tatbestand
1. Obj. TB
a) Eintritt des Erfolges
b) Garantenstellung
c) Unterlassen der gebotenen Handlung
(P) Unterlassen als Täter // Beihilfe
Bei Unterlassen als Täter: à Prüfung fortführen, insbesondere Prüfungspunkte der Quasikausalität und obj. Zurechnung im obj. TB ansprechen
Bei Unterlassen als Teilnehmer: à Prüfung abbrechen. Fortführen mit einer eigenen Prüfung:
C. Prüfung der Strafbarkeit als Teilnehmer durch Unterlassen §§ 27, 13 I
I. Tatbestand
1. Obj. TB
a) vorsätzliche rechtswidrige Haupttat
b) Möglichkeit der Abwendung durch verhindern, erschweren, abschwächen
c) Garantenstellung
2. Vorsatz
Hinweis: Es empfiehlt sich insbesondere vor der Führung des Meinungsstreits das Vorliegen der Garantenstellung geprüft zu haben, um inzidente Ausführungen innerhalb der unterschiedlichen Ansichten zu vermeiden.
Problembehandlung
Ansicht 1: Nach einer Ansicht könne der untätig bleibende Garant neben dem aktiven Begehungstäter stets nur Gehilfe sein. Auf dem Boden der Tatherrschaftslehre wird argumentiert, dass der Unterlassende neben einem aktiv handelnden Täter das Geschehen nicht in der Hand halten könne, also keine Tatherrschaft haben könne (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 230).
Kritik: Diese Ansicht widerspricht der Wertung des § 13, der die täterschaftliche Unterlassung gerade nicht von einer aktiven Beherrschung des Geschehens abhängig macht (Rengier Strafrecht AT, § 51 Rn. 15).
Ansicht 2: Die sog. Pflichtdeliktslehre geht davon aus, dass unechte Unterlassungsdelikte "Pflichtdelikte" seien und sieht daher das maßgebliche Kriterium in der Verletzung der tatbestandsbegründenden Erfolgsabwendungspflicht (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 31 Rn. 140 ff.; NK/Gaede, 6. Aufl. 2023, § 13 Rn. 26). Demnach mache die Verletzung der Garantenpflicht den Unterlassenden stets zum Täter, sofern die sonstigen Voraussetzungen (s.o.) erfüllt sind.
Kritik: Diese Meinung beseitigt den im Gesetz angelegten Unterschied zwischen Täterschaft und Teilnahme weitgehend im Bereich der Unterlassungsdelikte (Rengier Strafrecht AT, § 51 Rn. 167).
Ansicht 3: Eine dritte Ansicht differenziert für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme danach, ob es sich bei dem Handlungspflichtigen um einen Beschützer- oder um einen Überwachergaranten handelt. Grundsätzlich sei der Beschützergarant stets Täter, der Überwachergarant stets nur Gehilfe (Krey/Esser Strafrecht AT, 7. Aufl. 2022, Rn. 1181 ff.; Seier JA 1990, 383 f.).
Kritik: Schwierig ist hierbei, dass sich die beiden Garantentypen teilweise nur schwer voneinander abgrenzen lassen und das Gesetz nicht nach einzelnen Funktionen der Garantentypen differenziert (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, 30. Aufl. 2019, Vorbem. §§ 25 ff. Rn. 102; Rengier Strafrecht AT, § 51 Rn. 17).
Ansicht 4: Die herrschende Meinung differenziert anhand der allgemeinen Abgrenzungskriterien, die auch bei Allgemeindelikten herangezogen werden (siehe das Problemfeld hier). Nach der Rechtsprechung kommt es auf die subjektive Einstellung des Täters an (BGH NStZ 2012, 379). Die herrschende Lehre differenziert nach der „potenziellen Tatherrschaft“ (Rengier Strafrecht AT § 51 Rn. 20; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vorbem.§§ 25 ff. Rn. 102). Diese liege dann vor, wenn der Garant das Geschehen bei Erfüllung seiner Garantenpflicht hätte beherrschen können.
Die Seite wurde zuletzt am 17.2.2025 um 10.36 Uhr bearbeitet.
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