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Mittäterschaft bei Fahrlässigkeitsdelikten







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Mittäterschaft; fahrlässig; fahrlässige Mittäterschaft


Problemaufriss


Beispiel (angelehnt an eine Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichthofs, BGE 113 IV 58): An einem Berghang beschließen A und B, dass jeder der beiden einen Felsbrocken zu Tal rollen soll. Auf dem Weg der Felsbrocken ins Tal wird der Wanderer W tödlich getroffen. Später lässt sich nicht klären, welcher der beiden Felsbrocken den W tatsächlich getötet hat.
Hier werden A und B sich jeweils darauf berufen, dass ihr pflichtwidrig ins Rollen gebrachter Stein den Tod des W grade nicht verursacht habe (ihre Handlung demnach nicht kausal war) und sie nach dem Grundsatz in dubio pro reo nicht für ein Fahrlässigkeitsdelikt verurteilt werden können. Dieses Ergebnis der Straflosigkeit mangels Kausalitätsnachweis erscheint jedoch nicht gerecht.
 
Hier ist fraglich, wie A und B das ins Rollen bringen der Steine des anderen zugerechnet werden kann. Möglicherweise könnte das über § 25 II erfolgen. Da A und B jedoch keinen gemeinsamen Tatplan hatten, ist fraglich, ob es auch eine fahrlässige Mittäterschaft geben kann.
 


Problembehandlung


Ansicht 1: Bislang noch herrschend (BayObLG NJW 1990, 3032; BGHSt 37, 106; Jescheck/Weigend Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl. 1996, S.676 f.; Krey/Esser Deutsches Strafrecht AT, 7. Aufl. 2022, Rn. 1342) wird eine fahrlässige Mittäterschaft mit der Begründung abgelehnt, es fehle an vorsätzlichem Handeln, was aber Voraussetzung für einen gemeinsamen Tatplan i.S.d. § 25 II StGB sei.
 
Kritik: Das Argument der Rspr., es fehle ein gemeinsamer Tatentschluss, ist nicht stichhaltig, weil dieser eine Voraussetzung für die vorsätzliche Mittäterschaft ist, die dann aber gerade bei der fahrlässigen Mittäterschaft gar nicht erfüllt sein kann. (Schönke/Schröder/Heine/Weißer, 30. Aufl. 2019, Vor §§ 25 ff. Rn. 114).
 
Ansicht 2: Eine im Vordingen befindliche Literaturmeinung (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 242 m.w.N.; Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 53 Rn. 3 ff.; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vor §§ 25 ff. Rn. 114 ff.) löst das Kausalitätsproblem durch die Annahme fahrlässiger Mittäterschaft und die wechselseitige Zurechnung der Tatbeiträge. Die fahrlässige Mittäterschaft sei als gemeinschaftliche Pflichtverletzung zu verstehen. Sie liege vor, wenn sich mindestens zwei Tatbeteiligte bewusst und gewollt zur gemeinschaftlichen Tatbegehung einer objektiv pflichtwidrigen Handlung verabreden (Rengier Strafrecht AT, § 53 Rn. 3 ff.). Auch der Wortlaut lässt diese Auslegung zu: § 25 II differenziert nicht zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Das ist gerade anders als bei §§ 26, 27, die eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat voraussetzen (Wessles/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023, Rn. 839).
 
Kritik: Es besteht kein Bedürfnis für die Anerkennung fahrlässiger Mittäterschaft. Im Bsp. können A und B wegen nebentäterschaftlich begangener fahrlässiger Tötung verantwortlich gemacht werden. Kausalitätsprobleme können dadurch vermieden werden, dass man davon ausgeht, dass das Handeln von beiden entweder durch das eigenhändige Herabstoßen des Steines oder durch die Beteiligung am Entschluss des anderen für den Tod des W kausal ist. Zudem ist es nicht angemessen, die strafrechtliche Haftung auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten Dritter zu erweitern (Mitsch JuS 2001, 105, 109).






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Die Seite wurde zuletzt am 8.10.2024 um 17.00 Uhr bearbeitet.



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