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Irrtum des Hintermannes über die Werkzeugeigenschaft







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Irrtum; Hintermann; deliktisches Minus; Werkzeugeigenschaft; versuchte mittelbare Täterschaft; Anstiftervorsatz; Tatherrschaftslehre; subjektive Theorie; wesensgleiches Minus



Problemaufriss



Der Vorsatz des mittelbaren Täters muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen. Daher muss der Vorsatz sich auch auf die tatbeherrschende Stellung des Hintermanns (deliktisches Minus des Vordermanns) beziehen. Fraglich ist, wie sich Irrtümer über die Werkzeugeigenschaft des Vordermanns auf den Hintermann auswirken.



Problembehandlung



Grundsätzlich sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:



I. Beim Vordermann liegt ein deliktisches Minus vor, der Hintermann weiß dies aber nicht



Beispiel 1: Ärztin Ä gibt dem Krankenpfleger K eine Spritze mit tödlichem Gift, damit dieser das Opfer O tötet. Ä glaubt, dass K durch ihren verschwörerischen Blick erkennt, dass sich in der Spritze ein tödliches Gift befindet. K verabreicht dem O die Spritze, geht dabei jedoch davon aus, dass es sich um das Medikament handelt, welches er dem O jeden Tag gibt. Wie hat sich Ä strafbar gemacht?
 
Bei der ersten Konstellation liegt objektiv ein Beherrschungsverhältnis des Hintermanns über den Vordermann vor. Subjektiv hingegen weiß der Hintermann nichts von diesem Verhältnis – in der Regel will er den Vordermann lediglich zur Tat anstiften. Mangels Vorsatzes des Hintermanns zur tatbeherrschenden Steuerung kann dieser nicht als mittelbarer Täter bestraft werden. In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder versuchter Anstiftung. Das hängt vom deliktischen Minus des Vordermanns ab:
 
1. Vordermann handelt unvorsätzlich oder rechtmäßig
Mangels vorsätzlicher, rechtswidriger Haupttat kommt eine Strafbarkeit als Anstifter (§ 26) nicht in Betracht, wenn der Vordermann entweder nicht vorsätzlich oder gerechtfertigt handelte. Möglich ist aber eine Strafbarkeit wegen versuchter Anstiftung gem. § 30 I (allerdings nur bei Verbrechen).



2. Vordermann handelt schuldlos
Handelt das Werkzeug lediglich schuldlos, so liegt eine vorsätzliche, rechtswidrige und somit teilnahmefähige Haupttat vor. Der Hintermann könnte dann nicht nur wegen versuchter Anstiftung nach § 30 I sondern wegen vollendeter Anstiftung nach § 26 strafbar sein. Für eine vollendete Anstiftung spricht, dass eine Bestrafung wegen nur versuchter Anstiftung nicht zum Ausdruck bringen würde, dass der Hintermann an einer vollendeten Tatbestandsverwirklichung beteiligt war.



Zum Beispiel 1: K handelt nicht vorsätzlich, ein deliktisches Minus liegt folglich vor. Ä, die davon ausgeht, dass K sie durchschaut, weiß nichts von diesem Minus.
·         §§ 212 I, 25 I Alt. 2 (-) mangels Vorsatzes bzgl. der tatbeherrschenden Stellung
·         §§ 212 I, 26 (-), da mangels Vorsatz des K keine teilnahmefähige Haupttat vorliegt
·         §§ 212 I, 30 I (+)
Zudem wird man in dieser Konstellation auch eine fahrlässige Tötung annehmen können, weil in dem vom Vorsatz getragenen Verhalten auch eine Pflichtwidrigkeit enthalten ist und auf diese Weise zum Ausdruck kommt, dass ein Rechtsgut verletzt worden ist, und nicht lediglich (erfolglos) versucht wurde anzustiften.
 
II. Der Vordermann handelt ohne deliktisches Minus, der Hintermann nimmt ein solches aber an



Beispiel 2: Ä gibt dem K die für O bestimmte tödliche Spritze. Dabei geht sie davon aus, dass K die Spritze für das tägliche Medikament des O hält. In Wirklichkeit durchschaut der K die Ä, spritzt dem O aber trotzdem die tödliche Dosis, da er den O noch nie leiden konnte.
In der zweiten Konstellation liegt objektiv kein Beherrschungsverhältnis des Hintermanns über den Vordermann vor. Damit kann keine Bestrafung wegen vollendeter mittelbarer Täterschaft angenommen werden. Subjektiv nimmt der Hintermann eine solche Beherrschung jedoch an. Fraglich ist, wie dies rechtlich einzuordnen ist.



Ansicht 1: Teilweise wird vertreten, dass bei unmittelbarem Ansetzen des Hintermanns eine Strafbarkeit wegen versuchter Tatbegehung in mittelbarer Täterschaft zu bejahen sei (Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 43 Rn. 82).
 
Kritik: Die Annahme einer nur versuchten Tatbegehung in mittelbarer Täterschaft bringt nicht zum Ausdruck, dass der Hintermann an einer vollendeten Tat beteiligt war (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 87).



Ansicht 2: Die herrschende Lehre will den Hintermann als Anstifter bestrafen und sieht den Anstiftervorsatz als wesensgleiches "Minus" in dem weitergehenden Tatherrschaftswillen enthalten. Gehe der Hintermann irrtümlich von einem Defekt auf Schuldebene aus, so habe er auch Vorsatz bzgl. einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat des Vordermanns. Im Falle dieses Irrtums sei der Vorsatz damit leicht zu bejahen. Gehe der Hintermann jedoch irrtümlich von einem Defekt auf Tatbestands- oder Rechtfertigungsebene aus, so liege zwar objektiv eine teilnahmefähige, vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat vor, subjektiv gehe der Täter aber nicht von einer solchen teilnahmefähigen Haupttat aus. Jedoch sei ein solcher „Teilnahmewillen“ nicht notwendig, sondern sei im Tatherrschaftswillen enthalten. Wer die Tat durch einen anderen begehen lassen wolle, wolle den anderen zumindest auch zu dieser Tat „anstiften“ (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 53. Aufl. 2023 Rn. 864; Kühl Strafrecht AT, § 20 Rn. 87).
 
Kritik: Dies verstößt jedoch gegen das Analogieverbot gem. Art. 103 II GG und widerspricht dem Wortlaut von § 26. Im Falle der irrigen Annahme eines Defekts auf Tatbestands- oder Rechtfertigungsebene fehlt es zudem schlicht an den Voraussetzungen auf subjektiver Ebene (Rengier Strafrecht AT, § 43 Rn. 82; Joecks/Jäger Studienkommentar, 13. Aufl. 2021, § 25 Rn. 63).
 
Zum Beispiel 2: K handelte vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft, ein deliktisches Minus besteht folglich nicht. A hat daher objektiv keine Herrschaft über K, nimmt eine solche aber subjektiv an.
 
·         §§ 212 I, 25 I Alt. 2 (-) mangels objektiver Tatherrschaft
·         Weitere Prüfung mit §§ 212 I, 26 oder §§ 212 I, 22, 23 I, 12 I, 25 I Alt. 2 beginnen, bestenfalls je nach Ansicht, der gefolgt wird. Im Falle der Prüfung nach §§ 212 I, 26 den Streit unter dem Prüfungspunkt „Tatentschluss“ führen, im Falle der Prüfung nach §§ 212 I, 22, 23 I, 12 I, 25 I Alt. 2 als erster Prüfungspunkt „Strafbarkeit des Versuchs“.
 
Hinweis: Es ist hilfreich, sich bei diesen Konstellationen immer klar zu machen, was liegt objektiv vor und was liegt subjektiv vor. Auch ist immer sauber darauf zu achten, was für ein Defekt sich der Täter irrtümlicherweise (nicht) vorstellt. Je nachdem liegt eine vorsätzliche, rechtswidrige Haupttat vor, welche Voraussetzung für eine Teilnahmehandlung ist.















Die Seite wurde zuletzt am 30.5.2025 um 17.08 Uhr bearbeitet.



2 Kommentare.

    29. Mai 2025 10:06 - Gast  
    Wäre im Beispiel 1 noch eine fahrlässige Tötung durch das Übergeben der Spritze einschlägig?
    Antwort
    30. Mai 2025 13:50 - Site Admin Moderator  
    RH: Vielen Dank für diese Frage. Wir haben darüber nachgedacht und stimmen Ihnen zu. Das Fahrlässigkeitsdelikt steckt im Vorsatzdelikt mit drin und bringt zugleich zum Ausdruck, dass ein Rechtsgut verletzt worden ist.
    Antwort

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