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Organisatorische Machtapparate







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Täter hinter dem Täter; Mittelbare Täterschaft; Organisationsherrschaft; organisatorische Herrschaft; organisatorischer Machtapparat; Wirtschaftsunternehmen; rechtsgelöster Machtapparat; Machtapparat; Organisation


Problemaufriss


Gem. § 25 I Alt. 2 ist mittelbarer Täter, wer die Straftat "durch einen anderen" begeht. Der Täter nutzt demnach eine andere Person als menschliches Werkzeug, um den Tatbestand zu verwirklichen. Auf Seiten des Werkzeugs muss ein sog. deliktisches Minus, d.h. ein Strafbarkeitsmangel (etwa durch Vorsatzlosigkeit, Irrtum, Rechtfertigung gem. § 32 oder aufgrund Schuldunfähigkeit gem. § 20) vorliegen.
Von dieser Grundkonstellation (deliktisches Minus beim Tatmittler, Tatherrschaft beim Hintermann) gibt es jedoch Ausnahmen. In diesen Fällen wird von „Täter hinter dem Täter“ gesprochen. Hier handelt der Vordermann zwar voll verantwortlich (tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft), es kommt aber dennoch eine mittelbare Täterschaft des Hintermanns in Betracht.
Unter dem Schlagwort „Täter hinter dem Täter“ werden folgende Konstellationen diskutiert:
-       Hervorrufen eines schlichten Motivirrtums: nach h.M. keine Annahme einer mittelbaren Täterschaft.
-       Hervorrufen eines error in personas (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld).
-       Hervorrufen eines vermeidbaren Verbotsirrtums: Nach h.M. Annahme einer mittelbaren Täterschaft, da die Wissenslücke bewusst hervorgerufen und ausgenutzt wird.
-       Einsatz durch organisatorische Machtapparate (in diesem Problemfeld).
-       Hervorrufen eines Irrtums über die Unrechtshöhe (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld).
-       Einsatz eines qualifikationslosen Werkzeugs (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld).
 
Die Fallgruppe der organisatorischen Machtapparate wird in diesem Problemfeld behandelt.
Beispiel (vereinfacht nach BGHSt 40, 218): Die Angeklagten A, B und C waren Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR. Der Nationale Verteidigungsrat war das zentrale staatliche Organ, dem die einheitliche Leitung der Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen der DDR oblag. Sämtliche Handlungen der Grenztruppen, die Einrichtung von Selbstschussanlagen an der Grenze, die Verminung der Grenze und der Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge, beruhten auf Befehlen, die auf "Jahresbefehle" des Ministers für Nationale Verteidigung zurückgingen, welche wiederum auf Beschlüsse des Nationalen Verteidigungsrates zurückzuführen waren. So ging ein Beschluss dahin, jeden Grenzdurchbruch zu verhindern, auch unter Hinnahme des Todes eins Flüchtigen. In der Nacht vom 5. Februar 1989 versuchte der O, die Mauer nach West-Berlin zu übersteigen. Dabei wurde O durch einen vom Grenzsoldaten G abgegebenen Schuss in die Brust tödlich getroffen.
Wie können sich A, B und C strafbar gemacht haben?


Problembehandlung


I. Grundsatz
Ansicht 1: Nach teilweise vertretener Ansicht (Kindhäuser Strafrecht AT, 11. Aufl. 2024, § 39 Rn. 40; Jescheck/Weigend, 5. Aufl. 1996, S. 670; Jakobs Strafrecht AT, 1991, 21. Abschnitt Rn. 103) ist eine mittelbare Täterschaft abzulehnen. Ihr stehe das Verantwortungsprinzip entgegen, denn wo der unmittelbar Handelnde für sein Verhalten selbst voll verantwortlich ist, fehle es an der beherrschenden Steuerung durch den Hintermann. Vielmehr komme eine Bestrafung wegen Mittäterschaft oder Anstiftung in Betracht.
 
Kritik:  Eine Strafbarkeit wegen Anstiftung wird der zentralen Rolle des Hintermanns nicht gerecht. Mittäterschaft scheitert i.d.R. an einem gemeinsamen Tatentschluss, da der Tatausführende lediglich Befehle ausführt (Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, Rn. 65).
 
Ansicht 2: Die von Roxin (GA 1963, 193; Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 105 ff.) begründete herrschende Meinung (BGHSt 40, 218, 232 ff.; Gropp Strafrecht AT, 4. Aufl. 2015, § 10 Rn. 107; Lackner/Kühl/Heger/Heger StGB, 30. Aufl. 2023, § 25 Rn. 2; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 12 Rn. 65 ff.; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 54. Aufl. 2024, Rn. 856; Rengier Strafrecht AT, § 43 Rn. 61 f.) erkennt die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft sowohl für staatliche als auch für nicht-staatliche Organisationsapparate an. Das ergebe sich daraus, dass der „Schreibtischtäter“ durch den Machtapparat das Geschehen in den Händen halte und mit Sicherheit eine Tatausführung gewährleisten könne unabhängig vom konkreten Willen des Vordermanns. Für die Anerkennung dieser Fallgruppe haben sich vier Kriterien herausgebildet:
1.    Vorliegen eines hierarchisch strukturierten Machtapparates (wesentlicher Unterschied zur gleichstufigen Mittäterschaft).
2.    Rechtslosgelöstheit des Machtapparates: Vordermann müsse davon ausgehen können, keine strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
3.    Beliebige Austauschbarkeit des Vordermanns.
4.    Erhöhte Tatbereitschaft des Ausführenden als Zugehörigkeitsmerkmal zum Organisationsapparat.
 
Kritik:  Die Konstruktion der mittelbaren Täterschaft beruht nicht auf einer konkreten natürlichen Person als Tatmittler, sondern auf einem Machtapparat als solchen. Es geht somit nicht um ein Beherrschen des Vordermanns, sondern des Geschehens. Das widerspricht § 25 I Alt. 1 (Kindhäuser Strafrecht AT, § 39 Rn. 40).


II. Ausdehnung auf Wirtschaftsunternehmen
Innerhalb der Befürworter einer mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ist des Weiteren umstritten, ob die Rechtsfigur auch auf Wirtschaftsunternehmen ausgedehnt werden kann, z.B. wenn Geschäftsführer ihrer Mitarbeiter zur Tatbestandsausführung einsetzen.
Ansicht 1: Die überwiegende Literatur (Roxin Strafrecht AT II, § 25 Rn. 129 ff.; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 856; Rengier Strafrecht AT, § 43 Rn. 68 f.) lehnt eine Erstreckung auf Wirtschaftsunternehmen ab. Begründet wird das damit, dass die Voraussetzungen der Rechtslosgelöstheit und der beliebigen Austauschbarkeit (siehe oben für die notwendigen vier Kriterien) i.d.R. nicht vorlägen.
 
Kritik: Das Argument fehlender Austauschbarkeit geht fehl, da es im Hinblick auf die geringe Hemmschwelle leichter fallen dürfte, Mitarbeiter zur Begehung von in der Wirtschaftskriminalität typischen Vermögensdelikten zu veranlassen als zur Verübung von Gewaltdelikten, wie sie für rechtsgelöste Organisationen typisch sind (Hellemann Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl. 2023, Rn. 1043).
 
Ansicht 2: Die Rechtsprechung (BGH NJW 1998, 767, 769; NStZ 2008, 89; Hefendehl GA 2004, 575, 577 ff.; Hellmann Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 1043) erkennt die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft auch bei Wirtschaftsunternehmen an und begrenzt die Rechtsfigur nicht mehr auf kriminelle Vereinigungen.
 
Kritik: Allein die Anordnung und Duldung strafbarer Handlungen kann nicht ausreichen, um Tatherrschaft zu begründen. Es liegt gerade keine Rechtslosgelöstheit des Unternehmens vor. Zudem sind diese auch nicht beliebig austauschbar, da sie erst durch die Arbeitsrechtsordnung eingebunden werden (Rengier Strafrecht AT, § 43 Rn. 69; Joecks/Jäger Studienkommentar StGB, 13. Aufl. 2021, § 25 Rn. 60).















Die Seite wurde zuletzt am 22.10.2024 um 16.09 Uhr bearbeitet.



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