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Täter hinter dem Täter / organisatorische Machtapparate







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Täter hinter dem Täter; Mittelbare Täterschaft; Organisationsherrschaft; organisatorische Herrschaft; organisatorischer Machtapparat; Wirtschaftsunternehmen; rechtsgelöster Machtapparat; Machtapparat; Organisation


Problemaufriss


Heftig umstritten in grundsätzlicher Anerkennung und Reichweite ist schließlich eine mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft. Fraglich ist, ob der Hintermann, trotz voller Verantwortlichkeit des Vordermanns, mittelbarer Täter sein kann.


Beispiel (vereinfacht nach BGHSt 40, 218): Die Angeklagten A, B und C waren Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR. Der Nationale Verteidigungsrat war das zentrale staatliche Organ, dem die einheitliche Leitung der Verteidigungs- und Sicherheitsmaßnahmen der DDR oblag. Sämtliche Handlungen der Grenztruppen, auch die Einrichtung von Selbstschussanlagen an der Grenze, die Verminung der Grenze und der Schusswaffeneinsatz gegen Flüchtlinge, beruhten auf Befehlen, die auf "Jahresbefehle" des Ministers für Nationale Verteidigung zurückgingen. Notwendige Voraussetzung dieser "Jahresbefehle" war, dass sie auf vorangegangenen Beschlüssen des Nationalen Verteidigungsrats beruhten. Die von A, B und C als Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrats auf Grund der Beschlüsse des Nationalen Verteidigungsrats verantwortete Befehlslage an der Grenze der DDR zur Bundesrepublik ging dahin, "Grenzdurchbrüche" durch Flüchtlinge aus der DDR in jedem Falle und unter Einsatz jeden Mittels zu verhindern. Dabei wurde der Tod des Flüchtlings hingenommen, wenn anders ein "Grenzdurchbruch" nicht zu verhindern war. In der Nacht vom 5. zum 6. Februar 1989 versuchte der 22-jährige O, die Mauer nach West-Berlin zu übersteigen. Dabei wurde O durch einen vom Grenzsoldaten G abgegebenen Schuss in die Brust tödlich getroffen.


Problembehandlung


I. Grundsatz


Ansicht 1: Nach teilweise vertretener Ansicht (Kindhäuser Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 39 Rn. 40; Jescheck/Weigend, 5. Aufl. 1996, S. 670; Jakobs Strafrecht AT, 1991, 21. Abschnitt Rn. 103; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 12. Aufl. 2018, § 25 Rn. 60) steht der Annahme mittelbarer Täterschaft das Verantwortungsprinzip entgegen, denn wo der unmittelbar Handelnde für sein Verhalten selbst voll verantwortlich ist, fehle es an der beherrschenden Steuerung durch den Hintermann. Nur Mittäterschaft sei denkbar.


Kritik: Eine Anstiftungsstrafbarkeit des Hintermanns ist nicht stets gegeben, denn durch detaillierte Organisation kann er einen kommunikativen Kontakt mit dem Vordermann vermeiden; damit bliebe der Hintermann straflos. Ein Abdrängen des Befehlshabers in die Teilnehmerrolle würde im Übrigen den Umstand verschleiern, dass er wegen der Fungibilität des unmittelbar Handelnden gar nicht darauf angewiesen war, seinen Willen in eine bestimmte Richtung zu lenken und er die Tat vielmehr unabhängig von dessen Willen begehen lassen konnte.


Ansicht 2: Die von Roxin (GA 1963, 193; Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 105 ff.) begründete h.M. (BGHSt 40, 218, 232 ff.; Gropp Strafrecht AT, 4. Aufl. 2015, § 10 Rn. 107; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 25 Rn. 2; Stratenwerth/Kuhlen Stafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 12 Rn. 65 ff.; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 853) erkennt die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft sowohl für staatliche als auch für nicht-staatliche Organisationsapparate an, die sich von den Normen des Rechts gelöst haben und mafiaähnliche Organisationsstrukturen aufweisen. Grund für die Tatherrschaft des Hintermannes ist die unbegrenzte Ersetzbarkeit des Vordermannes, die die Ausführung der Befehle sichert, "weil der Apparat als solches den Vollzug gewährleistet" (Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 105). So ist innerhalb eines organisatorischen Machtapparates dem Hintermann die Tatausführung garantiert, da der Vordermann für den Fall seiner Weigerung beliebig ersetzbar ist. Der unmittelbar Handelnde ist lediglich ein "austauschbares Rädchen im Getriebe des Machtapparates". Dem Befehlshaber kommt eine beherrschende Stellung zu, da er die Tatbegehung unabhängig vom Willen des Vordermanns sicherstellen kann.


Kritik: Der Konstruktion mittelbarer Täterschaft bedürfe es nicht, da regelmäßig Anstiftung vorliegt und der Anstifter gem. § 26 StGB "gleich dem Täter" bestraft wird.






II. Ausdehnung auf Wirtschaftsunternehmen


Innerhalb der Befürworter einer mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft ist des Weiteren umstritten, ob die Rechtsfigur auch auf Wirtschaftsunternehmen ausgedehnt werden kann.


Ansicht 1: Roxin selbst (Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 129 ff.) lehnt eine Erstreckung "seiner" Rechtsfigur auf Wirtschaftsunternehmen ab.


Kritik: Das Argument fehlender Austauschbarkeit geht fehl, da es – gerade in Zeiten unsicherer Arbeitsmarktlage – im Hinblick auf die geringe Hemmschwelle leichter fallen dürfte, Mitarbeiter zur Begehung von in der Wirtschaftskriminalität typischen Vermögensdelikten zu veranlassen als zur Verübung von Gewaltdelikten, wie sie für rechtsgelöste Organisationen typisch sind. Auch im Rahmen von Organisationsstrukturen in Wirtschaftsunternehmen kann die Leitungsperson Rahmenbedingungen und regelhafte Abläufe ausnutzen, die zu der von ihr erstrebten Tatbestandsverwirklichung führen. Gerade im Bereich bestimmter, automatisierter Abläufe im Unternehmen bedarf es der Figur der Organisationsherrschaft, da die Leitungsperson hier nicht auf eine Anweisung an den unmittelbar Handelnden angewiesen ist und somit eine Anstiftungsstrafbarkeit ausscheidet.


Ansicht 2: Die h.M. (BGH NJW 1998, 767, 769; NStZ 2008, 89; Hefendehl GA 2004, 575, 577 ff.; Hellmann/Beckemper Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2013, Rn. 935) erkennt die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft auch bei Wirtschaftsunternehmen an und begrenzt die Rechtsfigur nicht mehr auf kriminelle Vereinigungen.


Kritik: Bei einer auf der Basis des Rechts arbeitenden Organisation ist zu erwarten, dass eine rechtswidrige Anweisung nicht automatisch befolgt wird. Außerdem ist der Mitarbeiter in die Arbeitsrechtsordung eingebunden, wodurch es an der wechselseitigen Austauschbarkeit des unmittelbar Handelnden fehlt (Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 43 Rn. 69).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.46 Uhr bearbeitet.



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