Mittelbare Täterschaft bei Irrtum des Werkzeugs über die Unrechtshöhe
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Mittelbare Täterschaft; Verantwortungsprinzip; Täter hinter dem Täter; Irrtum über den konkreten Handlungssinn; Unrechtsquantifizierung; Ausnahme deliktisches Minus
Problemaufriss
Gem. § 25 I Alt. 2 ist mittelbarer Täter, wer die Straftat "durch einen anderen" begeht. Der Täter nutzt demnach eine andere Person als menschliches Werkzeug, um den Tatbestand zu verwirklichen. Auf Seiten des Werkzeugs muss ein sog. deliktisches Minus, d.h. ein Strafbarkeitsmangel (etwa durch Vorsatzlosigkeit, Irrtum, Rechtfertigung gem. § 32 oder aufgrund von Schuldunfähigkeit gem. § 20) vorliegen.
Von dieser Grundkonstellation (deliktisches Minus beim Tatmittler, Tatherrschaft beim Hintermann) gibt es jedoch Ausnahmen. In diesen Fällen wird von „Täter hinter dem Täter“ gesprochen. Hier handelt der Vordermann zwar voll verantwortlich (tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft), es kommt aber dennoch eine mittelbare Täterschaft des Hintermanns in Betracht.
Unter dem Schlagwort „Täter hinter dem Täter“ werden folgende Konstellationen diskutiert:
- Hervorrufen eines schlichten Motivirrtums: Nach h.M. keine Annahme einer mittelbaren Täterschaft.
- Hervorrufen eines error in personas (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld).
- Hervorrufen eines vermeidbaren Verbotsirrtums: Nach h.M. Annahme einer mittelbaren Täterschaft, da die Wissenslücke bewusst hervorgerufen und ausgenutzt wird.
- Einsatz durch organisatorische Machtapparate (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld).
- Hervorrufen eines Irrtums über die Unrechtshöhe (in diesem Problemfeld).
- Einsatz eines qualifikationslosen Werkzeugs (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld).
Die Fallgruppe des Hervorrufens des Irrtums über die Unrechtshöhe wird in diesem Problemfeld behandelt.
Problembehandlung
In dieser Fallgruppe veranlasst der Hintermann den Vordermann zu einer Straftat und täuscht dabei den Vordermann über die Unrechtshöhe. Die Tatherrschaft liegt hier beim volldeliktischen Vordermann. Fraglich ist aber, ob die vom Hintermann gesteuerte Hervorrufung eines Irrtums über die Unrechtshöhe entgegen des Verantwortungsprinzips eine mittelbare Täterschaft gem. § 25 I Alt. 2 begründen kann.
Beispiel: H veranlasst V das „billige Plagiatsgemälde“ des E zu vernichten. V kommt dem nach. Tatsächlich handelte es sich um ein wertvolles Gemälde, dessen Wert der H kannte.
Ansicht 1: Nach herrschender Meinung ist der Hintermann im Falle des Hervorrufens eines „graduellen Tatbestandsirrtums“ als Anstifter zu bestrafen, wobei sein überschießender Vorsatz bei der Strafzumessung gem. § 46 berücksichtigt werden kann (Murmann JA 2008, 324; Rengier Strafrecht AT, 15. Aufl. 2023, § 43 Rn. 49; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 54. Aufl. 2024, Rn. 859).
Kritik: Hinsichtlich des Schadensausmaßes scheint der Vordermann nur für einen kleinen Teil verantwortlich, während der Hintermann ein sehr viel größeres Maß planvoll herbeiführt (LK StGB/Schünemann/Greco, 13. Aufl. 2021, § 25 Rn. 118 ff.).
Ansicht 2: Aufgrund des Irrtums des Vordermanns über die Tragweite seines Verhaltens steuere der Hintermann kraft seines überlegenen Wissens die Unrechtssteigerung/Unrechtsquantifizierung (Schönke/Schröder/Heine/Weißer StGB, 30. Aufl. 2019, § 25 Rn. 23; Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 25 Rn. 96; LK StGB/Schünemann/Greco, § 25 Rn. 118 ff.). Sofern es sich dabei erstens um eine „erhebliche“ oder „wesentliche“ Unrechtssteigerung handele und der Vordermann zweitens die Wirkungen seines Handelns nicht vom Vorsatz umfasst hat, sei der Hintermann als mittelbarer Täter zu bestrafen.
Kritik: Die Differenzierung zwischen einer erheblichen und unerheblichen Unrechtsquantifizierung sei zu unbestimmt (Rengier Strafrecht AT, § 43 Rn. 49). Ferner bestehe keine Notwendigkeit den Hintermann abweichend vom Verantwortungsprinzip als mittelbaren Täter gem. § 25 I Alt. 2 einzustufen. Der Hintermann hafte ohnehin als Anstifter gem. § 26 nach demselben Strafrahmen wie der Vordermann, wobei das Wissen des Hintermannes über die unrechtsquantifizierenden Folgen in der Strafzumessung (§ 46) belastend berücksichtigt werden könne (Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 12 Rn. 61).
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