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Kausalität bei Gremienentscheidungen







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Kausalität; Gremien; Gremium; Gremiumsentscheidung; Gremienentscheidungen; Abstimmung; Mehrheitsbeschluss; Lederspray


Problemaufriss


Ist die Handlung desjenigen, der für einen Beschluss in einem Gremium stimmte, welcher sodann einen strafrechtlich relevanten Erfolg nach sich zog, kausal? Wie verhält es sich mit der Kausalität, wenn kein anderes Abstimmergebnis erreicht worden wäre, wenn einer aus dem Gremium dagegen gestimmt hätte?


Beispiel (nach BGHSt 37, 106, 131): Die Geschäftsführer einer GmbH beschließen den Vertrieb eines Ledersprays, welches Gesundheitsschäden beim Verwender herbeiführen kann. Diese Gefahr ist den Geschäftsführern auch bekannt.


Problembehandlung


I. Eine Stimme Mehrheit


Liegt Mehrheit nur aufgrund einer Stimme vor, so ist auf jeden Fall Kausalität aller Gremienmitglieder, die mit Ja gestimmt haben, zu bejahen. Jede Stimme wird aber nur in Verbindung mit den anderen Stimmen kausal, weshalb ein Fall kumulativer Kausalität zu bejahen ist (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 235).


II. Mehr als eine Stimme Mehrheit


Liegt eine Mehrheit von zwei oder mehr Stimmen vor, wird die Schwäche der als allgemeine Grundlage dienenden Äquivalenztheorie deutlich: Man kann die jeweils einzelne Stimme hinwegdenken, ohne dass der Erfolg in seinen konkreten Gestalt (also eine Mehrheit für die beschlossene Sache) entfiele. Hier ist die Frage nach der Kausalität des einzelnen Abstimmenden also umstritten:  
 
Ansicht 1: Lösung über bekannte Kausalitätstheorien
Um die Schwäche der als allgemeine Grundlage dienenden Äquivalenztheorie zu begegnen, haben sich die Fallgruppen der alternativen und der kumulativen Kausalität herausgebildet, die auch hier als Lösungsweg herangezogen werden:


Ansicht 1a) Kumulative Kausalität
Kumulativ kausal ist jede Bedingung, die für sich selbst nicht, aber im Zusammenwirken mit der anderen den Erfolg herbeiführt. Auch wenn die einzelne Stimme in einem Gremium, keine wirksame (Einzel-)Ursache darstelle, würde sie im Zusammenhang mit den anderen Stimmen ihre Wirksamkeit entfalten, sodass ein Fall der kumulativen Kausalität vorliege.
(Baumann/Weber/Mitsch Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 10 Rn. 30 ff.; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, Vor § 13 Rn. 11; Roxin Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 19; aber auch BGHSt 37, 106, 131 zieht eine Parallele zur kumulativen Kausalität).


Kritik: Bei der kumulativen Kausalität kann ähnlich wie bei der Äquivalenztheorie keine Bedingung für den Erfolgseintritt weggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Bei einem Mehrheitsbeschluss führt aber jede einzelne Stimme gerade nicht mit den anderen Stimmen zusammen den Erfolgseintritt herbei. Rechnete man nämlich eine Stimme ab, entfiele der Erfolg dennoch nicht. Gerade darin liegt der logische Fehler der conditio-sine-qua-non-Formel.


Ansicht 1b) Alternative Kausalität
Bei der alternativen Kausalität würde jede Bedingung für sich genommen den Erfolg bewirken. Die Äquivalenztheorie wird also so modifiziert, dass jede Bedingung zwar für sich, aber nicht zusammengenommen hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. So sei es auch bei dem Mehrheitsbeschluss: Die Stimmen für ein anderes Abstimmungsergebnis könnten alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden, ohne dass der Beschluss als solcher nicht zustandekäme. (Dreher, Jus 2004, 17; Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 4 Rn. 20b, 19)


Kritik: Bei der Gremienentscheidung ist es gerade nicht so, dass jede Stimme den Erfolg selbst bewirkt. Eine einzelne Stimme kann für sich genommen nicht, sondern nur im Zusammenschluss mit der übrigen notwendigen Stimmenanzahl die erforderliche Mehrheit bewirken.
 
Ansicht 2: Kombination aus alternativer und kumulativer Kausalität
Die Kausalität der einzelnen Stimmen sei über eine Kombination aus kumulativer und alternativer Kausalität zu begründen. Sofern für einen Beschluss mindestens x + 1 Stimme erforderlich sind, liege im Verhältnis zwischen den abgegebenen Ja Stimmen und der noch einen fehlenden Stimme kumulative Kausalität vor. Hinsichtlich der fehlenden + 1 Stimme, die jeweils für sich genommen die Mehrheit begründen würde, kommen aufgrund des Überhangs noch übriger Zustimmungen mehrere Möglichkeiten in Betracht. Diese übrigen Stimmen seien alternativ kausal, da sie zwar einzeln, aber nicht gemeinsam hinweggedacht werden können. (Satzger/Schluckebier/Widmaier/Kudlich StGB, 3. Auflage 206, Vor §§ 13 ff. Rn. 48)


Ansicht 3: Mittäterschaftslösung
Die Rechtsprechung kommt über die Figur der Mittäterschaft zu einem ganz anderen Lösungsweg. Hierbei geht man davon aus, dass alle Gremiumsmitglieder die gemeinsame Pflicht besaßen, einen Beschluss i.S.d. Rechtsordnung zu treffen. Denn jeder Einzelne hätte alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Herbeiführung eines solchen Beschlusses tun müssen. Nach dieser Ansicht wäre das Abstimmverhalten kausal zum Gremiumsentschluss, da dem Abstimmenden das Abstimmverhalten der übrigen Gremiumsmitglieder zugerechnet werden müsste (BGHSt 37, 106, 130 ff.).


Kritik: Gegen die Lösungsvariante der mittäterschaftlichen Zurechnung spricht, dass sie zirkelschlüssig ist: Eine mittäterschaftliche Tatbegehung setzt Kausalität des Beitrags zumindest eines Mittäters für den Erfolg voraus; Zurechnung im Wege der Mittäterschaft ist erst möglich, wenn diese Zurechnungsvoraussetzung möglich ist; eine kausalitätsersetzende Mittäterschaft kann es zurechnungstheoretisch somit nicht geben. Zudem lässt sich eine Tatbeherrschung eines einzelnen Mitglieds über das Gremium nicht begründen. Außerdem würde diese Ansicht zu Problemenbei Fahrlässigkeitstaten führen, denn dort wird die Mittäterschaft überwiegend abgelehnt.
 
Ansicht 4: Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung
 Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung hält für das Vorliegen der Kausalität für entscheidend, dass "die Handlung von einer Art gewesen ist, dass sie Folgeerscheinungen von der Art, wie sie im konkreten Fall eingetreten sind, nach unserer Erfahrung herbeiführt". Es ist also entscheidend, ob zwischen konkreter Handlung und konkretem Erfolg nach Maßgabe unseres Erfahrungswissens ein gesetzmäßiger Zusammenhang besteht und nicht, ob die vorgenommene Handlung für die Erfolgsherbeiführung notwendig war (Beulke/Bachmann JuS 1992, 737, 743 f.; Hilgendorf NStZ 1994, 561, 565 f.; Puppe JR 1992, 30, 32). Das unterbliebene "richtige" Abstimmen durch jedes einzelne Gremiumsmitglied war damit notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Mindestbedingung für den mehrheitlichen Beschluss.
 
Kritik: Die Lehre der gesetzmäßigen Bedingung stellt zwar keinen Widerspruch zur üblichen Kausalitätsbestimmung dar, weil sie auf die Gleichwertigkeit aller Erfolgsbedingungen abstellt. Auch bleibt die Wirksamkeit des tatsächlichen Verhaltens von der Frage unberührt, ob bei Wegdenken des Täterverhaltens der Erfolg eingetreten wäre. Jedoch gibt sie keinen konkreten Maßstab vor, wann eine "gesetzmäßige Bedingung" genau vorliegt.
 
Literatur: Satzger Jura 2014, 186 ff. ("Kausalität und Gremienentscheidungen")















Die Seite wurde zuletzt am 27.2.2024 um 17.40 Uhr bearbeitet.



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