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Kausalität bei Gremienentscheidungen

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<h3>Tags</h3> <p>Kausalit&auml;t; Gremien; Gremium; Gremiumsentscheidung; Gremienentscheidungen;&nbsp;Abstimmung; Mehrheitsbeschluss; Lederspray</p> <h3>Problemaufriss</h3> <p>Ist die Handlung desjenigen, der f&uuml;r einen Beschluss in einem Gremium stimmte, welcher sodann einen strafrechtlich relevanten Erfolg nach sich zog, kausal? Wie verh&auml;lt es sich mit der Kausalit&auml;t, wenn kein anderes Abstimmergebnis erreicht worden w&auml;re, wenn einer aus dem Gremium dagegen gestimmt h&auml;tte?</p> <p><strong>Beispiel (nach BGHSt 37, 106, 131):</strong> Die Gesch&auml;ftsf&uuml;hrer einer GmbH beschlie&szlig;en den Vertrieb eines Ledersprays, welches Gesundheitssch&auml;den beim Verwender herbeif&uuml;hren kann. Diese Gefahr ist den Gesch&auml;ftsf&uuml;hrern auch bekannt.</p> <h3>Problembehandlung</h3> <p><strong>I. Eine Stimme Mehrheit</strong></p> <p>Liegt Mehrheit nur aufgrund einer Stimme vor, so ist auf jeden Fall Kausalit&auml;t aller Gremienmitglieder, die mit Ja gestimmt haben, zu bejahen. Jede Stimme wird aber nur in Verbindung mit den anderen Stimmen kausal, weshalb ein Fall <a href="../../kumulativ/">kumulativer Kausalit&auml;t</a> zu bejahen ist (<em>Wessels/Beulke/Satzger</em> Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 235).</p> <p><strong>II. Mehr als eine Stimme Mehrheit</strong></p> <p>Liegt eine Mehrheit von zwei oder mehr Stimmen vor, wird die Schw&auml;che der als allgemeine Grundlage dienenden &Auml;quivalenztheorie deutlich: Man kann die jeweils einzelne Stimme hinwegdenken, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt (also eine Mehrheit f&uuml;r die beschlossene Sache) entfiele. Hier ist die Frage nach der Kausalit&auml;t des einzelnen Abstimmenden also umstritten: &nbsp;<br>&nbsp;<br><strong>Ansicht 1: L&ouml;sung &uuml;ber bekannte Kausalit&auml;tstheorien</strong><br>Um die Schw&auml;che der als allgemeine Grundlage dienenden &Auml;quivalenztheorie zu begegnen, haben sich die Fallgruppen der alternativen und der kumulativen Kausalit&auml;t herausgebildet, die auch hier als L&ouml;sungsweg herangezogen werden:</p> <p><strong>Ansicht 1a) Kumulative Kausalit&auml;t</strong><br>Kumulativ kausal ist jede Bedingung, die f&uuml;r sich selbst nicht, aber im Zusammenwirken mit der anderen den Erfolg herbeif&uuml;hrt. Auch wenn die einzelne Stimme in einem Gremium, keine wirksame (Einzel-)Ursache darstelle, w&uuml;rde sie im Zusammenhang mit den anderen Stimmen ihre Wirksamkeit entfalten, sodass ein Fall der kumulativen Kausalit&auml;t vorliege&nbsp;(<em>Baumann/Weber/Mitsch</em>&nbsp;Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, &sect; 10 Rn. 30 ff.; Lackner/K&uuml;hl/<em>K&uuml;hl</em>&nbsp;StGB, 29. Aufl. 2018, Vor &sect; 13 Rn. 11;&nbsp;<em>Roxin</em>&nbsp;Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, &sect; 11 Rn. 19; aber auch BGHSt 37, 106, 131 zieht eine Parallele zur kumulativen Kausalit&auml;t).</p> <p><strong>Kritik:</strong> Bei der kumulativen Kausalit&auml;t kann &auml;hnlich wie bei der &Auml;quivalenztheorie keine Bedingung f&uuml;r den Erfolgseintritt weggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Bei einem Mehrheitsbeschluss f&uuml;hrt aber jede einzelne Stimme gerade nicht mit den anderen Stimmen zusammen den Erfolgseintritt herbei. Rechnete man n&auml;mlich eine Stimme ab, entfiele der Erfolg dennoch nicht. Gerade darin liegt der logische Fehler der conditio-sine-qua-non-Formel.</p> <p><strong>Ansicht 1b) Alternative Kausalit&auml;t</strong><br>Bei der alternativen Kausalit&auml;t w&uuml;rde jede Bedingung f&uuml;r sich genommen den Erfolg bewirken. Die &Auml;quivalenztheorie wird also so modifiziert, dass jede Bedingung zwar f&uuml;r sich, aber nicht zusammengenommen hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. So sei es auch bei dem Mehrheitsbeschluss: Die Stimmen f&uuml;r ein anderes Abstimmungsergebnis k&ouml;nnten alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden, ohne dass der Beschluss als solcher nicht zustandek&auml;me. (<em>Dreher</em>, Jus 2004, 17; <em>K&uuml;hl</em>&nbsp;Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, &sect; 4 Rn. 20b, 19)</p> <p><strong>Kritik:</strong> Bei der Gremienentscheidung ist es gerade nicht so, dass jede Stimme den Erfolg selbst <strong>bewirkt</strong>. Eine einzelne Stimme kann f&uuml;r sich genommen nicht, sondern nur im Zusammenschluss mit der &uuml;brigen notwendigen Stimmenanzahl die erforderliche Mehrheit bewirken.<br>&nbsp;<br><strong>Ansicht 2: Kombination aus alternativer und kumulativer Kausalit&auml;t</strong><br>Die Kausalit&auml;t der einzelnen Stimmen sei &uuml;ber eine Kombination aus kumulativer und alternativer Kausalit&auml;t zu begr&uuml;nden. Sofern f&uuml;r einen Beschluss mindestens x + 1 Stimme erforderlich sind, liege im Verh&auml;ltnis zwischen den abgegebenen Ja Stimmen und der noch einen fehlenden Stimme kumulative Kausalit&auml;t vor. Hinsichtlich der fehlenden + 1 Stimme, die jeweils f&uuml;r sich genommen die Mehrheit begr&uuml;nden w&uuml;rde, kommen aufgrund des &Uuml;berhangs noch &uuml;briger Zustimmungen mehrere M&ouml;glichkeiten in Betracht. Diese &uuml;brigen Stimmen seien alternativ kausal, da sie zwar einzeln, aber nicht gemeinsam hinweggedacht werden k&ouml;nnen. (Satzger/Schluckebier/Widmaier/<em>Kudlich</em> StGB, 3. Auflage 2016, Vor &sect;&sect; 13 ff. Rn. 48)</p> <p><strong>Ansicht 3:</strong>&nbsp;<strong>Mitt&auml;terschaftsl&ouml;sung</strong><br>Die Rechtsprechung kommt &uuml;ber die Figur der Mitt&auml;terschaft zu einem ganz anderen L&ouml;sungsweg. Hierbei geht man davon aus, dass alle Gremiumsmitglieder die gemeinsame Pflicht besa&szlig;en, einen Beschluss i.S.d. Rechtsordnung zu treffen. Denn jeder Einzelne h&auml;tte alles ihm M&ouml;gliche und Zumutbare zur Herbeif&uuml;hrung eines solchen Beschlusses tun m&uuml;ssen. Nach dieser Ansicht w&auml;re das Abstimmverhalten kausal zum Gremiumsentschluss, da dem Abstimmenden das Abstimmverhalten der &uuml;brigen Gremiumsmitglieder zugerechnet werden m&uuml;sste (BGHSt 37, 106, 130 ff.).</p> <p><strong>Kritik:</strong> Gegen die L&ouml;sungsvariante der mitt&auml;terschaftlichen Zurechnung spricht, dass sie zirkelschl&uuml;ssig ist: Eine mitt&auml;terschaftliche Tatbegehung setzt Kausalit&auml;t des Beitrags zumindest eines Mitt&auml;ters f&uuml;r den Erfolg voraus; Zurechnung im Wege der Mitt&auml;terschaft ist erst m&ouml;glich, wenn diese Zurechnungsvoraussetzung m&ouml;glich ist; eine kausalit&auml;tsersetzende Mitt&auml;terschaft kann es zurechnungstheoretisch somit nicht geben. Zudem l&auml;sst sich eine Tatbeherrschung eines einzelnen Mitglieds &uuml;ber das Gremium nicht begr&uuml;nden. Au&szlig;erdem w&uuml;rde diese Ansicht zu Problemen bei Fahrl&auml;ssigkeitstaten f&uuml;hren, denn dort wird die Mitt&auml;terschaft &uuml;berwiegend abgelehnt.<br>&nbsp;<br><strong>Ansicht 4: Lehre von der gesetzm&auml;&szlig;igen Bedingung</strong><br>&nbsp;Die Lehre von der gesetzm&auml;&szlig;igen Bedingung h&auml;lt f&uuml;r das Vorliegen der Kausalit&auml;t f&uuml;r entscheidend, dass "die Handlung von einer Art gewesen ist, dass sie Folgeerscheinungen von der Art, wie sie im konkreten Fall eingetreten sind, nach unserer Erfahrung herbeif&uuml;hrt". Es ist also entscheidend, ob zwischen konkreter Handlung und konkretem Erfolg nach Ma&szlig;gabe unseres Erfahrungswissens ein gesetzm&auml;&szlig;iger Zusammenhang besteht und nicht, ob die vorgenommene Handlung f&uuml;r die Erfolgsherbeif&uuml;hrung notwendig war (<em>Beulke/Bachmann</em>&nbsp;JuS 1992, 737, 743 f.;&nbsp;<em>Hilgendorf</em>&nbsp;NStZ 1994, 561, 565 f.;&nbsp;<em>Puppe</em>&nbsp;JR 1992, 30, 32). Das unterbliebene "richtige" Abstimmen durch jedes einzelne Gremiumsmitglied war damit notwendiger Bestandteil einer hinreichenden Mindestbedingung f&uuml;r den mehrheitlichen Beschluss.<br>&nbsp;<br><strong>Kritik:</strong> Die Lehre der gesetzm&auml;&szlig;igen Bedingung stellt zwar keinen Widerspruch zur &uuml;blichen Kausalit&auml;tsbestimmung dar, weil sie auf die Gleichwertigkeit aller Erfolgsbedingungen abstellt. Auch bleibt die Wirksamkeit des tats&auml;chlichen Verhaltens von der Frage unber&uuml;hrt, ob bei Wegdenken des T&auml;terverhaltens der Erfolg eingetreten w&auml;re. Jedoch gibt sie keinen konkreten Ma&szlig;stab vor, wann eine "gesetzm&auml;&szlig;ige Bedingung" genau vorliegt.</p>

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