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Anstiftervorsatz beim agent provocateur







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Lockspitzel; Anstiftung; Versuch; Vollendung; Beendigung; Vollendungsgrenze; Rechtsgut; Rechtsgutsverletzung


Problemaufriss


Mit dem Begriff des agent provocateurs wird eine Person bezeichnet, die - üblicherweise im Dienste der Polizei - einen anderen zu einer Straftat anstifte. Das kann ein sog. V-Mann oder ein Lockspitzel der Polizei sein.


Beispiel: Der polizeiliche Lockspitzel L stiftet A und B an, in das Haus einer reichen Familie einzubrechen, die gerade verreist ist. Unmittelbar nach dem Einbruch werden A und B noch auf dem Grundstück des Hauses, wie von L vorhergesehen, festgenommen. Ist L wegen Anstiftung zum Wohnungseinbruchdiebstahl (§§ 242 I, 244 I Nr. 3, 26) strafbar?


Dafür müsste sich der Vorsatz des L sowohl auf die Anstifterhandlung als auch auf die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch den Täter bezogen haben ("doppelter Anstiftervorsatz") (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, Rn. 888). Zwar wollte L nicht, dass die Diebstahlstat beendet wird. Jedoch sollte die Tat zur Vollendung gelangen, damit A und B im unmittelbaren Anschluss daran festgenommen werden können.


Nach dem allgemeinen Grundsatz der Akzessorietät der Teilnahme würde dies für eine Strafbarkeit genügen, denn die Haupttäter werden auch wegen des vollendeten Deliktes bestraft. Umstritten ist allerdings, ob diese Grundsätze in dem beschriebenen Fall des agent provocateurs tatsächlich uneingeschränkt zu gelten haben. Denkbar wäre ein Verzicht der Bestrafung aufgrund kriminalpolitischer Erwägungen.


Problembehandlung


Zunächst ist anerkannt, dass es für eine Strafbarkeit des agent provocateurs nicht genügt, dass er den Versuch der Haupttat in Kauf nimmt. Zwar handelt es sich grundsätzlich auch bei einem bloß versuchten Delikt um eine teilnahmefähige Haupttat. Eine Strafbarkeit des agent provocateurs anzunehmen, widerspräche jedoch dem Strafgrund der Teilnahme (Frister Strafrecht AT, 9. Aufl. 2020, 29. Kapitel Rn. 17). In der Konstellation des Versuchs wird der Haupttäter nur wegen des Handlungsunrechts bestraft und nicht wegen des Erfolgsunrechts. Da das Handlungsunrecht aber beim agent provocateur gerade fehlt, wenn er von vornherein eine Vollendung verhindern möchte, muss eine Strafbarkeit jedenfalls insoweit ausscheiden (vgl. Frister AT, 29. Kapitel Rn. 17; Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 201).


Ansicht 1: Nach der Lehre von der formellen Vollendungsgrenze (so genannt bei Hillenkamp 32 Probleme, 14. Aufl. 2012, 24. Problem S. 180) sei daher der Vollendungszeitpunkt das entscheidende Kriterium auch für die Strafbarkeit des agent provocateurs. Für die Bejahung eines Anstiftervorsatzes genüge es folglich, dass der Täter die Vollendung der Haupttat jedenfalls billigend in Kauf nimmt. Denn bereits mit der – in Kauf genommenen – Vollendung liege eine Rechtsgutsverletzung im Sinne der gesetzlichen Tatbestände vor, sodass wegen der Akzessorietät der Teilnahme eine Strafbarkeit zu bejahen sei (Kühl AT, § 20 Rn. 203). Ein Anstiftervorsatz scheide lediglich in denjenigen Fällen aus, in denen der Anstifter die Tat nicht zur Vollendung kommen lassen will, sondern lediglich deren Versuch zumindest billigend in Kauf nimmt. Denn in diesem Fall wolle der Handelnde von vornherein nicht, dass es zu einer Rechtsgutsverletzung kommt (Kühl AT, § 20 Rn. 203).


Kritik: Auch wenn es nach der Vorstellung des agent provocateurs zu einer Vollendung kommen soll, so kann er doch sorgfältig jede materielle Gefahr für das Rechtsgut ausschließen. Dann kann unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten auf eine Bestrafung verzichtet werden (Jescheck/Weigend Strafrecht AT, 5. Aufl. 1995, S. 687 f.; vgl. Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 45 Rn. 71). Denn auch die Strafbarkeit des Anstifters legitimiert sich letztlich unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes. Will der Handelnde von vornherein nicht, dass es zu einer endgültigen Beeinträchtigung des Rechtsgutes kommt, so muss auch eine Strafbarkeit ausscheiden (Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 893).


Ansicht 2: Nach der von der herrschenden Lehre vertretenen Lehre der materiellen Vollendungsgrenze (so genannt bei Hillenkamp 32 Probleme, 24. Problem S. 181) genüge es daher für eine Strafbarkeit nicht, dass sich der Anstiftervorsatz lediglich auf die Vollendung der Haupttat bezieht. Der Anstifter müsse vielmehr auch die materielle Beendigung dieser Tat oder den Eintritt einer Rechtsgutsverletzung in seinen Vorsatz aufgenommen haben (OLG Oldenburg NJW 1999, 2751 f.; Lackner/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 26 Rn. 4; Leipziger Kommentar StGB/Schünemann, 12. Aufl. 2007, § 26 Rn. 65; Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 893; Rengier AT, § 45 Rn. 71). Daran fehle es insbesondere, wenn der agent provocateur – wie im Beispiel (Polizei war vor Ort) – Vorkehrungen getroffen hat, die den Eintritt eines endgültigen Schadens verhindern oder sich zumindest um deren Vorliegen bewusst war (vgl. OLG Oldenburg NJW 1999, 2751 f.; Rengier AT, § 45 Rn. 71; Wessels/Beulke/Satzger AT, Rn. 893). Die Strafbarkeit des Anstifters basiere nämlich auf einem von ihm mit verursachten, von seinem Vorsatz umfassten Rechtsgutsangriff. Ein solcher sei aber vom Vorsatz gerade nicht erfasst, wenn der Haupttäter vor der materiellen Beendigung gefasst werden soll.


Kritik: Hiergegen könnte man zwar anbringen, dass man – verlangt man für eine Strafbarkeit des agent provocateurs Vorsatz hinsichtlich der materiellen Beendigung – konsequenterweise auch eine Rücktrittsmöglichkeit des Haupttäters nach Vollendung und vor Beendigung bejahen könnte. Dies widerspräche allgemeinen Regeln. Eine solche Konsequenz zieht freilich keiner der genannten Vertreter (vgl. Hillenkamp 32 Probleme, 24. Problem S. 181).


Ansicht 3: Nach der Theorie der Rechtsgutsgefährdungsgrenze (vgl. Jescheck/Weigend, S. 687 ff.) ist die Strafbarkeit des Anstifters an das Merkmal der Rechtsgutsgefährdung zu knüpfen. Danach liegt eine vollendete Anstiftung vor, wenn der Anstifter die Gefährdung des Rechtsguts in seinen Vorsatz mit aufgenommen hat und es nicht lediglich zu einem Versuch kommen lassen wollte. Wenn er eine Rechtsgutsgefährdung nicht ausschließen könne, sei stets eine vollendete Anstiftung anzunehmen.


Kritik: Letztlich wird mit dem Wissen um die Rechtsgutgefährdung seitens des Anstifters dessen bewusste Fahrlässigkeit als ausreichend für vorsätzliches Verhalten erachtet.


Ansicht 4 : Die Theorie von der irreparablen Rechtsgutsverletzung (Münchener Kommentar StGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, § 26 Rn. 76 f.) stellt hingegen darauf ab, ob der Täter eine irreparable Schädigung des Rechtsguts vorsätzlich in Kauf nimmt oder ob er diese auf jeden Fall verhindern und somit dem Opfer gerade keinen Schaden zufügen will. Ist Letzteres der Fall, liege kein Rechtsgutsangriff vor, der wiederum Strafgrund der Teilnahme sei.


Kritk: Die genaue Grenzziehung, wann eine irreparable Rechtsgutsverletzung vorliegt, liegt im Ermessen des jeweiligen Rechtsanwenders, weshalb willkürliche Entscheidungen drohen, wenn man dieser Ansicht folgt.






Hinweis


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Die Seite wurde zuletzt am 5.9.2023 um 10.45 Uhr bearbeitet.



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