Kausalität der Beihilfehandlung für die Haupttat
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Kausalität; Beihilfe; Haupttat; Risikoerhöhung
Problemaufriss
Umstritten ist, inwieweit sich die Hilfeleistung gem. § 27 auf die Haupttat auswirken muss.
Beispiel (nach RGSt 6, 169 f.): G steckt dem zum Diebstahl entschlossenen H einen Nachschlüssel zu. Aufgrund unsauberer Herstellung bricht der Schlüssel jedoch im Schloss ab. H steigt daher durch ein Seitenfenster ein und führt den Diebstahl sodann erfolgreich durch.
Problembehandlung
Ansicht 1: Vereinzelt (Herzberg GA 1971, 1, 4 ff.) wird die Beihilfe als abstraktes Gefährdungsdelikt angesehen. Danach ist die Vornahme einer nicht völlig ungeeigneten Hilfeleistung durch den Gehilfen stets ausreichend um § 27 zu bejahen.
Kritik: Der Strafgrund der Teilnahme liegt im mittelbaren Angriff auf das geschützte Rechtsgut. Von einem mittelbaren Angriff kann aber nur die Rede sein, wo die Teilnahmehandlung in der Haupttat noch fortwirkt (vgl. Kindhäuser/Zimermann Strafrecht AT, 11. Auflag 2024\, § 38 Rn. 16; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, 30. Auflage 2019\, § 27 Rn. 6). Zudem umgeht der Ansatz die in § 30 zum Ausdruck kommende Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers der Straflosigkeit der versuchten Beihilfe, indem auch Beihilfehandlungen die sich im Ergebnis überhaupt nicht auf die Haupttat ausgewirkt haben miteinbezogen und als vollendete Beihilfe bestraft werden (LK/Schünemann/Greco, 13. Auflage 2021\, § 27 Rn. 2).
Ansicht 2: Nach Ansicht der Rspr. (RGSt 58, 113, 114 f.; 71, 176, 178; BGHSt 42, 135, 136; BGH NJW 2000, 3010) ist eine Ursächlichkeit der Gehilfenhandlung für die Haupttat gerade nicht erforderlich. Stattdessen, genügt es bereits, wenn die Beihilfehandlung die Haupttat tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt irgendwie gefördert hat, unabhängig von einem konkreten Einfluss auf den Erfolg der Haupttat (Studienkommentar/Joecks/Jäger, 13. Auflage 2021, § 27 Rn. 8).
Kritik: Die Konzeption ist widersprüchlich, denn die Tatbestandsverwirklichung kann nur durch solche Beiträge gefördert werden, die sich auch im Erfolg auswirken. In diesem Fall ist jedoch auch Kausalität gegeben. Bleibt die Hilfeleistung für den Erfolg hingegen unerheblich – und wird damit für diesen nicht kausal – hat sie ihn auch nicht tatsächlich, sondern maximal scheinbar gefördert (LK/Schünemann/Greco, 13. Auflage 2021\, § 27 Rn. 30). Außerdem birgt die Formel "irgendwie gefördert" aufgrund der Verschleierung des Kausalitätserfordernisses die Gefahr\, die bloß versuchte Beihilfe in vollendete Beihilfe umzudeuten (vgl. Kindhäuser/Zimermann Strafrecht AT, § 42 Rn. 12).
Ansicht 3: Nach h.L. (Kindhäuser/Zimermann Strafrecht AT, § 42 Rn. 10; MüKo/Scheinfeld, 5. Auflage 2024\, § 27 Rn. 32 ff.; Fischer StGB, 72. Auflage 2025, § 27 Rn. 14 ff.; Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 26 Rn. 212 f.) muss der Gehilfenbeitrag dagegen für den konkreten Erfolg der Haupttat kausal geworden sein. Dabei ist nach den allgemeinen Kausalitätsregeln jedoch bereits eine Mitwirksamkeit iSe. „Modifikationskausalität“ ausreichend (LK/Schünemann/Greco, § 27 Rn. 3). Mithin ist ein kausaler Gehilfenbeitrag immer dann gegeben, wenn durch diesen die Tatbestandsverwirklichung ermöglicht, erleichtert, intensiviert oder abgesichert wird (Kindhäuser/Zimermann Strafrecht AT, § 42 Rn. 10).
Kritik: Der Wortlaut von § 27 erschöpft sich in der Erbringung von "Hilfe" und beschreibt somit lediglich eine Tätigkeit, aber keinen darüber hinausgehenden Erfolg (vgl. Baumann/Weber/Mitsch/Eisele Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 26 Rn. 104).
Ansicht 4: Vertreter der sog. Risikoerhöhungslehre (Murmann JuS 1999, 548, 549 ff.; Otto Strafrecht AT, 7. Aufl. 2004, § 22 Rn. 52; Stratenwerth/Kuhlen Strafrecht AT, 6. Aufl. 2011, § 12 Rn. 158) verlangen keine Kausalität des Gehilfenbeitrags. Stattdessen wird lediglich eine Erhöhung der Erfolgschancen der tatbestandverwirklichenden Handlung durch die Hilfeleistung gefordert.
Kritik: Die Risikoerhöhungslehre deutet Verletzungsdelikte contra legem in konkrete Gefährdungsdelikte um (Heinrich Strafrecht AT, 7. Auflage 2022, Rn. 1328).
Zum Beispiel:
Nach Ansicht eins und zwei begründet die Übergabe des Schlüssels eine strafbare Beihilfe zum vollendeten Diebstahl (§§ 242, 27).
Nach der dritten Ansicht hätte sich G hingegen nicht der Beihilfe zum vollendeten Diebstahl strafbar gemacht. In Betracht käme jedoch bei Annahme eines unmittelbaren Ansetzens des H zum Diebstahl durch das misslungene Öffnen des Schlosses eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum versuchten Diebstahl (§§ 242 I, II, 22, 27).
Auch nach der vierten Ansicht kommt lediglich eine Beihilfe zum versuchten Diebstahl in Betracht, denn G hat nur die Erfolgschancen für den letztlich doch gescheiterten Diebstahlsversuch (mittels Nachschlüssel) erhöht und nicht für den vollendeten Diebstahl (mittels Einsteigen durch das Fenster).
Hinweis:
Die praktische Bedeutung der unterschiedlichen Ansätze sollte nicht überschätzt werden. Zum einen gelangen alle Standpunkte in der überwiegenden Zahl der Fälle zu gleichen Ergebnissen (vgl. LK/Schünemann, § 27 Rn. 30 ff.; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, § 27 Rn. 6). Allenfalls bei außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltungen sind abweichende Ergebnisse zu erwarten, sonst handelt es sich weitgehend um einen Streit über dogmatische Begrifflichkeiten (BGH NJW 2007, 384, 389). Zum anderen kann bei fehlender Kausalität einer physischen Beihilfe oftmals dennoch eine (mit-)ursächliche psychische Beihilfe angenommen werden (Kindhäuser/Zimermann Strafrecht AT, § 42 Rn. 13).
Die Seite wurde zuletzt am 17.2.2025 um 13.47 Uhr bearbeitet.
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