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Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen – Passive Sterbehilfe







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Passive Sterbehilfe; Hilfe im Sterben; rettender Kausalverlauf; Tun; Unterlassen; Kausalität; Eingriff; Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch; fremder Rettungsversuch; eigener Rettungsversuch; Risiko; Unterlassen durch Tun; Beatmungsgerät; Magensonde; Patient; Ärztin; Arzt; ärztlicher Heileingriff; Angehörige; Koma; Behandlungsabbruch; normative Betrachtung; naturalistische Betrachtung


Problemaufriss


Der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, die sog. passive Sterbehilfe, wird vielfach in der Öffentlichkeit sowie in medizinischen und juristischen Fachkreisen diskutiert. Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen wirft im Allgemeinen bereits viele Probleme auf, insbesondere beim Eingriff in einen rettenden Kausalverlauf. Ebenso problematisch ist die mögliche, rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung.


Fraglich ist also, wie der Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen strafrechtlich zu beurteilen ist.


Beispiel 1: B liegt bereits seit einiger Zeit im Koma und wird aufgrund schwerer Hirnschädigungen nicht mehr zu sich kommen. Sie äußerte, bevor sich ihr Gesundheitszustand verschlechterte, den Willen, dass sie „nicht an Schläuchen hängen“ wolle und medizinische Behandlungen abgebrochen werden sollen, wenn keine Aussicht auf Besserung bestünde. Sohn S durchtrennt den Schlauch der Magensonde. B stirbt.


Alternative 1: Wie Beispiel 1, nur handelt statt S die behandelnde Ärztin A.


Beispiel 2: Anstatt den Schlauch der Magensonde zu durchtrennen, wird das Beatmungsgerät von A oder S abgeschaltet.


Problembehandlung


Grundsätzlich handelt es sich bei der passiven Sterbehilfe um die Problematik des Eingriffs in den rettenden Kausalverlauf.


Ansicht 1: Eine Ansicht nimmt eine wertende Betrachtung vor (vgl. Ansicht 1 hier). Schaltet der behandelnde Arzt oder seine Hilfspersonen medizinische Geräte, welche der Lebensverlängerung dienen, ab, werde dies als „Unterlassen durch Tun“ qualifiziert. Nehmen Dritte, z.B. Angehörige, dieselbe Handlung vor, gehe diese Ansicht von einem aktiven Tun aus, da der Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahme dann anders zu bewerten sei. Dies führe dazu, dass eineärztliche Strafbarkeit in den meisten Fällen ausscheide, da sich der Umfang der Garantenstellung des Arztes nach dem Willen des Patienten richte (BGHSt 40, 257, 265 f.; Roxin NStZ 1987, 345, 349; Jäger ZStW 115 [2003], 765, 769; Schöch NStZ 1995, 153, 154).


Kritik: Nach den hier diskutierten Grundsätzen des Eingriffs in einen rettenden Kausalverlauf handelt es sich in jedem Fall um ein aktives Tun. Die Umdeutung eines aktiven Tuns in ein Unterlassen ist dogmatisch kaum vertretbar und dient nur dazu, unerwünschte Ergebnisse zu vermeiden (Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 12. Aufl. 2018, § 13 Rn. 14 f.; BGHSt 55, 191, 201 ff.).


Ansicht 2a: Einer anderen Ansicht nach sollen auch medizinische Maßnahmen nach den naturalistischen allgemeinen Grundsätzen beurteilt werden. Ein Behandlungsabbruch sei folglich nur dann ein Unterlassen, wenn er auch nach den Grundsätzen des Eingriffs in einen rettenden Kausalverlauf als Unterlassen zu betrachten sei. Die Einwilligung des Patienten entfalte aber rechtfertigende Wirkung. Der vom Patienten gewünschte Behandlungsabbruch wäre straflos. Diese Grundsätze gelten nicht nur für medizinisches Personal, sondern auch für Dritte, wie z.B. Angehörige und Betreuer (Dölling ZIS 2011, 345, 346 ff.; Walter ZIS 2011, 76; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, § 13 Rn. 14 f.; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 46. Aufl. 2016, Rn. 993).


Kritik: Das Verbot des Abschaltens eines medizinischen Geräts schützt das Leben des Patienten, genau wie das Gebot ihn zunächst zu behandeln. Wäre der Patient von Anfang an nicht behandelt worden, würde es sich um ein Unterlassungsdelikt handeln. Da Gebot und Verbot den gleichen Schutzzweck haben, muss es sich beim Abbruch der Behandlung auch um ein Unterlassen handeln (Ast ZStW 124 [2012], 612, 623 f.). Andererseits umfasst das Beenden einer Behandlung eine Vielzahl verschiedener aktiver und passiver Handlungen. Ob es sich aus strafrechtlicher Sicht um ein Tun oder Unterlassen handelt, hängt nach der naturalistischen Sichtweise letztlich vom Zufall ab, was nicht sachgerecht sein kann (BGHSt 55, 191 ff.). Außerdem steht die Rechtfertigung durch Einwilligung des Patienten in den Behandlungsabbruch im Widerspruch zu dem in § 216 verankerten Einwilligungsverbot in die Tötung (Münchener Kommentar StGB/Schneider, 3. Aufl. 2017, Vor § 211 ff. Rn. 173).


Ansicht 2b: Die Ansicht der neueren Rspr. (BGHSt 55, 191 ff.) will die wertende Betrachtung nicht aufgeben, da die Rechtsfigur des „Unterlassens durch Tun“ zwar abgelehnt, aber die naturalistische Betrachtungsweise als weniger sachgerecht angesehen wird. Bei der "Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch" gelten andere Kriterien: Es käme darauf an, dass eine Person lebensbedrohlich erkrankt sei und Maßnahmen, die medizinisch zur Lebenserhaltung geboten seien, beendet würden. Ob der Behandlungsabbruch durch Tun oder Unterlassen erfolge, könne dahingestellt bleiben. Die Einwilligung des Patienten, z.B. durch Patientenverfügung, entfalte jedenfalls rechtfertigende Wirkung. Die Beendigung der Behandlung könne damit auch durch Dritte erfolgen.


Kritik: Die Rechtsfigur des "Behandlungsabbruchs" ist dem StGB fremd. Der in § 13 angelegte Unterschied zwischen Tun und Unterlassen wird eingeebnet, was dogmatisch nicht überzeugt. Der Begriff des Behandlungsabbruchs geht auch semantisch über den bloßen Verzicht auf die Vornahme von lebenserhaltenden Maßnahmen hinaus.


Das Abgrenzungsproblem wird nur von der Frage "Tun oder Unterlassen" auf ein "Vorliegen oder Nichtvorliegen des Behandlungszusammenhangs" verlagert (Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben StGB, 29. Aufl. 2014, Vor §§ 211 ff. Rn. 28a; MK/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 170; Walter ZIS 2011, 76 f.). Diese Einwilligung ist ferner im Hinblick auf § 216 problematisch (MK/Schneider, Vor §§ 211 ff. Rn. 173).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 13.58 Uhr bearbeitet.



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