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Eingriff in den rettenden Kausalverlauf als Tun oder Unterlassen?







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Rettender Kausalverlauf; Tun; Unterlassen; Kausalität; Eingriff; Zurückziehen des Rettungsseils; Abgrenzung; passive Sterbehilfe; Rücktritt vom Gebotserfüllungsversuch; fremder Rettungsversuch; eigener Rettungsversuch; Risiko; Brunnenschacht


Problemaufriss


Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen erscheint auf den ersten Blick unproblematisch. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte Abgrenzungsschwierigkeiten auftreten (vgl. BGH NStZ 2003, 657 ff.). Ebenso problematisch sind Fälle in denen der rettende Kausalverlauf unterbrochen wird, sei es durch Abbruch der eigenen Rettungsbemühungen oder durch das Verhindern einer Rettung durch Dritte (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, Rn. 1160.).


Beispiel 1: A, B und C erkunden eine alte Burgruine. Unter dem Gewicht des A bricht eine morsche Abdeckung ein und er stürzt in einen Brunnenschacht. A droht zu ertrinken. C will A mit einem Seil heraufziehen. B nutzt die günstige Gelegenheit und schlägt C nieder, um die Rettung zu verhindern. A stirbt.


Beispiel 2: Wie oben, nur wollen B und C den A retten. Sie haben aber kein Seil dabei. Deshalb bitten sie den zufällig vorbeikommenden Wanderer W, ihnen sein Seil auszuleihen. W hat es jedoch eilig und ignoriert die Bitten von B und C.


Beispiel 3: O fällt bei einer Bootsfahrt ins Wasser. T wirft ihm einen an einem Seil befestigten Rettungsring zu. Er landet ein paar Meter von O entfernt. Bevor er ihn erreichen kann, zieht T das Seil wieder zurück. O ertrinkt.


Beispiel 4: O hat den Rettungsring erreicht. T ist gerade dabei ihn zum Boot zu ziehen. Dann überlegt er es sich anders und lässt das Seil fallen. O wird abgetrieben und stirbt.


Wie haben sich A, W und T strafbar gemacht?


Problembehandlung


Die verschiedenen Fallkonstellationen sind unterschiedlich zu behandeln:


1. Verhindern fremder Rettungsbemühungen


Wenn der Täter in einen rettenden Kausalverlauf eingreift, der von einem Dritten in Gang gesetzt wurde, handelt es sich nach der ganz h.M. immer um ein Tun. Ein Unterlassen kommt nur bei Untätigkeit in Betracht. Eigentumsverhältnisse am Rettungsgerät sind unbeachtlich (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 1161; Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 48 Rn. 18; Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 31 Rn. 114; Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 18 Rn. 20; Schönke/Schröder/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, Vor §§ 13 ff. Rn. 159 f.; Nomos Kommentar StGB/Gaede, 5. Aufl. 2017, § 13 Rn. 9)


B hat sich in Beispiel 1 wegen Totschlag gem. § 212 I strafbar gemacht. W in Beispiel 2 hat sich mangels Garantenstellung (s. Problemfelder zur Garantenstellung hier) nur wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c strafbar gemacht.


2. Abbrechen eigener Rettungsbemühungen


Wie der Abbruch eigener Rettungsbemühungen zu beurteilen ist, ist strittig.


Ansicht 1: Eine Ansicht will auf den Zeitpunkt abstellen, an dem der rettende Kausalverlauf (das Rettungsmittel) die Sphäre des Opfers erreicht hat. Davor handele es sich um ein Unterlassen, danach um ein aktives Tun (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 1162; Sch/Sch/Bosch StGB, Vor §§ 13 ff. Rn. 160; NK/Gaede, § 13 Rn. 9).


Demnach hätte sich T in Beispiel 3 wegen Totschlags durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 13 I (bei Vorliegen einer Garantenstellung) und in Beispiel 4 wegen Totschlags gem. § 212 I strafbar gemacht.


Kritik: Diese Ansicht harmoniere nicht mit der h.M. bei der Verhinderung fremder Rettungsbemühungen. Wenn das Unterbrechen eines rettenden Kausalverlaufs, der von einem Dritten ausgeht, ein aktives Tun darstellt, solle für den Fall, dass er vom Täter selbst in Gang gesetzt wurde, nichts anderes gelten (Rengier Strafrecht AT, § 48 Rn. 23). Warum es darauf ankommt, ob der rettende Kausalverlauf das Opfer errreicht hat, sei nicht erklärbar. Es liege kein Unterschied darin, ob der rettende Kausalverlauf das Opfer erst erreichen werde, oder bereits an der Spähre des Opfers angekommen sei (Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 12. Aufl. 2018, § 13 Rn. 18).


Ansicht 2: Einer anderen Ansicht nach kommt es darauf an, ob der Täter den rettenden Kausalverlauf unterbricht, den er bereits aus der Hand gegeben hat (Rengier Strafrecht AT, § 48 Rn. 23; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, § 13 Rn. 17 f.).


Nach dieser Ansicht hätte sich T in Beispiel 3 und 4 wegen Totschlags gem. § 212 I strafbar gemacht, da T den Kausalverlauf durch den Wurf aus der Hand gegeben hat und O den Rettungsring selbst hätte erreichen können.


Kritik: Der Täter habe durch den Abbruch der Rettungsbemühungen ein neues Risiko für das Opfer geschaffen (NK/Gaede, § 13 Rn. 9).


Diese Problematik wird von Rspr. und Literatur vielfach bei der sog. passiven Sterbehilfe, also dem Abschalten lebenserhaltender medizinischer Apparaturen, wie z.B. Beatmungsgeräte oder Magensonden, diskutiert. Dazu werden teilweise andere Ansichten vertreten (s. hier).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 13.56 Uhr bearbeitet.



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