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Verkehrssicherungspflicht







Tags


Überwacher; Garant; Einstehen; Ziegelstein; Hund; Gefahr; Sachherrschaft; Reichweite; Rettungspflicht


Problemaufriss


Zur Begründung einer Garantenstellung im Sinne des § 13 I wird herrschend zwischen Beschützer- und Überwachergaranten unterschieden. Eine Überwachergarantenstellung kann sich dabei aus dem Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht ergeben.


Der dahinterstehende Rechtsgedanke ist, dass Außenstehende keinen Zugriff auf Sachen haben, die von anderen beherrscht werden und sich deshalb darauf verlassen müssen, dass der Inhaber der Sachherrschaft die von der Sache ausgehenden Gefahren für andere verhindert (Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 18 Rn. 106). Hieraus ergibt sich abstrakt die Pflicht, dass jeder Eigentümer oder Besitzer die Sachen in seinem Herrschaftsbereich so zu überwachen und zu unterhalten hat, dass von diesen keine naheliegenden Gefahren für die Rechtsgüter Außenstehender ausgehen (Rengier Strafrecht AT, 13. Aufl. 2021, § 50 Rn. 45).


Eine Verkehrssicherungspflicht trifft Haus- und Wohnungsbesitzer ebenso wie Grundstückseigentümer, Kraftfahrzeughalter, Tierbesitzer oder Internetprovider. Die Pflicht kann sich ferner aus einer allgemeinen Gefahrenabwehrpflicht ergeben. Diese kann auf dem Zustand einer Sache, Anlage oder Einrichtung in einem bestimmten sozialen Herrschaftsbereich oder der freiwilligen Übernahme von Überwachungs- und Sicherungspflichten für einen anderen (z.B. Übernahme der elterlichen Obhuts- und Aufsichtspflichten durch Babysitter, Kühl Strafrecht AT, § 18 Rn. 119 f. mit weiteren Beispielen) beruhen (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 51. Aufl. 2021, Rn. 1187 ff. m.w.N.). Es ist dabei unerheblich, ob die Gefahrverursachung auf einem pflichtwidrigen oder auf einem sozialadäquaten, erlaubten Verhalten beruht (Leipziger Kommentar StGB/Weigend, 13. Aufl. 2020, § 13 Rn. 48 ff.).


Fraglich ist aber, wie weit die Verkehrssicherungspflicht reicht: Trifft einen Überwachergaranten eine Garantenpflicht gegenüber einer Person, die Opfer der beaufsichtigten Gefahrenquelle geworden ist?


Beispiel: Der Hund des A war bislang stets friedfertig, weshalb ihn A auf seinem Grundstück ohne Leine frei herumlaufen ließ. Eines Tages betritt B das Grundstück und wird überraschend von dem Hund des A angegriffen. Dieser lässt erst ab, als B schwerverletzt auf dem Boden liegen bleibt. A kümmert sich nicht weiter um den Verletzten. B stirbt. Strafbarkeit des A?


Problembehandlung


Eine Strafbarkeit nach §§ 222, 13 I hinsichtlich des Nichtanleinens des bisher stets friedlichen Hundes scheidet mangels Sorgfaltswidrigkeit aus. Möglicherweise könnte sich A durch das Liegenlassen des B jedoch nach §§ 212, 13 I strafbar gemacht haben. Voraussetzung wäre das Bestehen einer Garantenstellung. Aus Ingerenz kann sich eine solche mangels pflichtwidrigen Vorverhaltens nicht ergeben.


Ansicht 1: Die Garantenstellung ist nach einer Auffassung aus der Überwachergarantenstellung abzuleiten, da gerade die Gefahrenquelle den Schaden bzw. weiterreichende schädliche Folgen verursacht habe (Nomos Kommentar StGB/Gaede, 5. Aufl. 2017, § 13 Rn. 49; Leipziger Kommentar StGB/Weigend, § 13 Rn. 59).


Kritik: Bei der Überwachergarantenstellung geht es um Sicherungs-, nicht um Rettungspflichten. Überwachungspflichten wurden aber nicht verletzt. (Rengier Strafrecht AT, § 50 Rn. 52).


Ansicht 2: Eine Garantenstellung ist nach herrschender Auffassung in derartigen Fällen nicht zu konstruieren; es bleibt lediglich eine Strafbarkeit nach § 323c (Schönke/Schröder/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, § 13 Rn. 45/46; Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 32 Rn. 124).


Kritik: Bei einer anschließenden Rettungshandlung handelt es sich nicht lediglich um solidarische Hilfe, sondern um das Einstehen für die Folgen eigener Fehlorganisation und pflichtwidriger Untätigkeit, zumal der Erfolgseintritt regelmäßig rein zufällig durch Sicherungs- oder anschließende Rettungsmaßnahmen verhindert wird (Nomos Kommentar StGB/Gaede, § 13 Rn. 49).


Eine Garantenstellung aus Ingerenz hinsichtlich des Liegenlassens des B ergibt sich freilich dann, wenn aufgrund der bekannten Aggressivität des Hundes o.Ä. in dem Nichtanleinen bereits eine Pflichtwidrigkeit zu erkennen ist. Daneben ist eine Einstandspflicht des A als Überwachergarant nach herrschender Meinung wiederum zu verneinen, da die Gefahren in diesem Zeitpunkt nicht mehr von dem Hund ausgehen, sondern von der Hilflosigkeit des B (Rengier Strafrecht AT, § 50 Rn. 53).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 13.57 Uhr bearbeitet.



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