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Schränkt die Zumutbarkeit den Tatbestand ein oder wirkt sie schuldausschließend?

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### Tags zumutbar; unzumutbar; Unterlassungsdelikt; Schuld; entschuldigend ### Problemaufriss Auch bei den unechten Unterlassungsdelikten kommt eine Strafbarkeit des Untätigbleibens nur dann in Betracht, wenn das normgemäße Verhalten in der konkreten Situation nicht unzumutbar war (vgl. BGHSt 48, 77, 89). **Beispiel 1:** Bei einem Brand rettet K an Stelle seiner todkranken Mutter M seine Freundin F, die er sehr liebt und heiraten möchte. M kommt in den Flammen ums Leben. **Beispiel 2:** A fährt mit seinem Auto unter erheblichem Alkoholeinfluss B an, der lebensgefährlich verletzt wird. A setzt seine Fahrt dennoch fort, da er befürchtet, für seine Trunkenheitsfahrt strafrechtlich belangt zu werden. B stirbt. Strafbarkeit von K und A gem. §§ [212](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__212.html), [13 I](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__13.html)? Fraglich ist, wo die Prüfung der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens korrekt zu verorten ist. Relevant ist dies insbesondere bei der Frage, ob die irrige Annahme des Täters, ihm sei die Vornahme der objektiv erforderlichen Rettungshandlung nicht zuzumuten, einen Irrtum im Sinne des[§ 16 I](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__16.html) darstellt, mithin den Vorsatz entfallen lässt; ferner bei der Frage, ob Teilnahme an einem Unterlassen, für das der Täter selbst mangels Zumutbarkeit nicht bestraft wird, möglich ist (<em>Wessels/Beulke/Satzger</em> Strafrecht AT, 46. Aufl. 2016, Rn. 1040). ### Problembehandlung **Ansicht 1:**  Nach einer Auffassung ist die Zumutbarkeit normgemäßen Handelns Tatbestandsmerkmal jeden Unterlassungsdelikts und begrenzt bereits die Reichweite der Handlungspflicht (<em>Fischer</em> StGB, 65. Aufl. 2018, § 13 Rn. 81; Nomos Kommentar StGB/<em>Gaede</em>, 5. Aufl. 2017, § 13 Rn. 17). **Kritik:** Das Gesetz stellt einen Garanten i.S.d. [§ 13](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__13.html) unter den dort genannten Kriterien einem Begehungstäter gleich. Anders als bei einigen echten Unterlassungsdelikten lässt sich dem gesetzlich geregelten Tatbestand kein Zumutbarkeitserfordernis entnehmen (<em>Wessels/Beulke/Satzger</em> Strafrecht AT, Rn. 1040). Die Unzumutbarkeit beeinflusst stets die Motivationsfähigkeit, weswegen sie als Entschuldigungsgrund und nicht als Tatbestandsmerkmal einzustufen ist (<em>Kindhäuser</em> Strafrecht AT, 7. Aufl. 2015, § 36 Rn. 37). **Ansicht 2:**  Nach herrschender Auffassung ist die Zumutbarkeit als besonderer Entschuldigungsgrund im Rahmen der Schuld zu prüfen (Lackner/Kühl/<em>Kühl</em> StGB, 29. Aufl. 2018, § 13 Rn. 5; *Rengier* Strafrecht AT, 9. Aufl. 2017, § 49 Rn. 47; BGHSt 6, 46, 57; *Roxin* Strafrecht AT II, 2003, § 31 Rn. 231; *Wessels/Beulke/Satzger* Strafrecht AT, Rn. 1040 m.w.N.). **Kritik:**  Es ist widersprüchlich auf Tatbestandsebene zunächst eine Handlungspflicht zu bejahen, nur um auf späterer Stufe festzustellen, dass ihre Erfüllung von Rechts wegen unzumutbar ist (<em>Fischer</em> StGB, § 13 Rn. 81). Im Beispiel 1 ist K nicht gerechtfertigt, da nach einer Abwägung der Pflichten (siehe [rechtfertigende Pflichtenkollision](/problemfelder/at/rw/pflichtenkollision/kollision/)) die Garantenpflicht gem. [§ 13](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__13.html) gegenüber seiner Mutter gegenüber der allgemeinen Hilfspflicht aus [§ 323c](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__323c.html) überwiegt. Auch ein Entschuldigungsgrund nach [§ 35](https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__35.html) greift nicht. Eine Bestrafung kann aber wegen Unzumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens verneint werden, da K zum einen ein Menschenleben gerettet hat und zum anderen aus billigenswerten Gründen gehandelt hat (<em>Kühl</em> Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 18 Rn. 140; *Wessels/Beulke/Satzger* Strafrecht AT, Rn. 980, 1039). Im Beispiel 2 ist eine Zumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens zu bejahen, da das Risiko eigener strafrechtlicher Verfolgung keine Unzumutbarkeit der Abwendung von Schäden darstellt (<em>Kühl</em> Strafrecht AT, § 18 Rn. 141). Vertiefend: *Kühl* Jura 2009, 881 ff.

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