Abgrenzung Vorbereitung/Versuch – Wann setzt der Täter unmittelbar zur Deliktsverwirklichung an?
Tags
Versuch; unmittelbares Ansetzen; Vorbereitung; Strafbarkeit; "Jetzt-geht’s los!"; Unmittelbarkeit; räumlich-zeitlicher Zusammenhang; Zwischenakt; Zwischenaktstheorie; konkrete Gefährdung; Schutzsphäre des Opfers; Feuerprobe
Problemaufriss
Der objektive Tatbestand des Versuchs liegt gem. § 22 im unmittelbaren Ansetzen zur Verwirklichung des Tatbestandes, auf dessen Vollendung der Vorsatz des Täters gerichtet sein muss (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 49. Aufl. 2019, Rn. 929). Fraglich ist, wann der Täter zum Versuch unmittelbar ansetzt. Dazu muss zwischen meist strafbarer Versuchshandlung und i.d.R. strafloser Vorbereitungshandlungen unterschieden werden.
Beispiel (nach BGH NJW 1976, 58): A will den Tankstellenpächter O ausrauben. Als er in der Tankstelle niemanden antrifft, läutet er an der Tür des auf dem Gelände stehenden Wohnhauses des O und zieht dabei sein Messer. Sogleich mit Öffnen der Tür soll die erscheinende Person bedroht und zur Duldung einer Wegnahme genötigt werden. Niemand öffnet die Tür.
Abwandlung: Wie oben, A zieht sein Messer jedoch noch nicht, da er weiß, dass der furchteinflößende B öfter bei O zu Besuch ist. Falls dieser die Tür öffnet, will er seinen Plan aufgeben und möglichst schnell verschwinden. Auch diesmal öffnet niemand die Tür.
Hat A in beiden Konstellationen unmittelbar zur Tat angesetzt?
Problembehandlung
Wenn bereits Teile des Tatbestands verwirklicht sind, ist die Abgrenzung in den meisten Fällen problemlos möglich, denn der Täter ist bereits über das Stadium des unmittelbaren Ansetzens hinausgelangt und befindet sich auf dem Weg zur Vollendung (Maurach/Gössel/Zipf Strafrecht AT II, 8. Aufl. 2014, § 40 Rn. 43).
Für die Abgrenzung zwischen strafloser Vorbereitung und strafbarem Versuch gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Kriterien in Literatur und Rechtsprechung, wie etwa die Zwischenakts-, Gefährdungs- oder Sphärentheorie. Allerdings ist es in der Fallbearbeitung nicht sinnvoll diese Theorien, wie bei einem Meinungsstreit, getrennt voneinander zu diskutieren. Vielmehr sollten die verschiedenen Meinungen kombiniert werden, um ein klares Ergebnis zu erzielen (Rengier Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 21; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, Rn. 948). Diese Vorgehensweise ist auch in der Rechtsprechung gängig (BGHSt 48, 34, 35 f.; BGH NStZ 2002, 309, 309 f.; BGH NStZ 2004, 580, 581).
Ansicht 1: Nach der Sphärentheorie beginnt der Versuch damit, dass der Täter in die Schutzsphäre des Opfers eindringt. Zusätzlich muss zwischen Tathandlung und Erfolg ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen (Jakobs Strafrecht AT, 2. Aufl. 1991, 25. Abschnitt Rn. 68; Roxin JuS 1979, 1, 5 f.).
Ansicht 2: Gemäß der "Theorie der Feuerprobe" beginnt der Versuch, wenn der Täter die Schwelle zum "Jetzt geht’s los" überschritten hat. Damit habe der Tatplan die "Feuerprobe der kritischen Situation" bestanden (BGHSt 26, 201, 203; Bockelmann JZ 1954, 468, 473).
Ansicht 3: Nach der Gefährdungstheorie zeichnet sich das unmittelbare Ansetzen dadurch aus, dass das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters bereits gefährdet ist (Schönke/Schröder/Eser/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, § 22 Rn. 36 ff.; auch auf die Gefährdung abstellend Fischer StGB, 67. Aufl. 2020, § 22 Rn. 9 f.).
Ansicht 4: Für die Zwischenaktstheorie liegt ein unmittelbares Ansetzen dann vor, wenn zwischen dem Verhalten des Täters und der Tatbestandsverwirklichung keine wesentlichen Zwischenschritte mehr erforderlich sind. (Leipziger Kommentar StGB/Hillenkamp, 12. Aufl. 2006, § 22 Rn. 77; Systematischer Kommentar StGB/Jäger, 9. Aufl. 2017, § 22 Rn. 23).
Zum Beispiel oben: Da die Haustür noch geschlossen ist, ist A noch nicht in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen. Gegen eine unmittelbare Gefährdung aus Sicht des Täters für das Rechtsgut des O spricht, dass dieser die Tür nicht geöffnet hat und sich damit noch nicht unmittelbar in Gefahr in befand. Für eine Gefährdung spricht, dass O direkt beim Öffnen der Tür überwältigt werden sollte und nur der Zufall den Angriff auf sein Rechtsgut verhindert hat. Nach der Zwischenaktstheorie hat A unmittelbar zur Tat angesetzt, da keine wesentlichen Zwischenankte mehr erforderlich sind. A hat das Messer bereits gezogen und muss nur noch auf das Erscheinen einer Person warten, die er sofort nötigen will. Indem er klingelte und sein Messer zog, hat er die Schwelle zum "Jetzt geht’s los" subjektiv überschritten. Der Tatplan hat die "Feuerprobe der kritischen Situation" bestanden, da er sich bewusst war, dass keine weiteren Zwischenakte zur Tatausführung erforderlich sein werden. Da – zusammenfassend – keine weiteren Zwischenakte mehr erforderlich sind, er die Schwelle zum "Jetzt geht's los" überschritten hat und von einer Gefährdung des Rechtsguts ausgegangen werden kann, hat er unmittelbar zur Tat angesetzt.
Zur Abwandlung: A ist noch nicht in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen. Da er das Messer noch nicht gezogen hat und noch entscheiden muss, ob er die Person, die die Tür öffnet überhaupt nötigen soll, sind noch wesentliche Zwischenakte zur Tatbestandserfüllung notwendig. Da er die Durchführung der Tat von noch nicht geklärten Umständen abhängig macht, hat er auch subjektiv die Schwelle zum "Jetzt geht’s los" noch nicht überschritten. Hierfür spricht auch, dass er sein Messer nicht gezogen hat. Da A sich noch entscheiden muss, ob er die öffnende Person überhaupt nötigen will, besteht aus seiner Sicht noch keine Gefahr für das Rechtsgut. A hat nicht unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 13.52 Uhr bearbeitet.
Fragen und Anmerkungen: