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Auslegung des Tatbestandsmerkmals Heimtücke







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feindliche Willensrichtung; mitleidsmotivierte Tötung; schuldangemessenes Strafmaß; verwerflicher Vertrauensbruch; § 211; Mord; Mordmerkmal; Heimtücke


Problemaufriss


Nach der gängigen Definition handelt heimtückisch, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt. Dies ermöglicht eine sehr weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke, wodurch praktisch jede überraschende Tötung zum Heimtückemord wird, dem eine lebenslange Freiheitsstrafe folgt. Es besteht praktisch kein Raum für die Berücksichtigung entlastender Motive. Daher ist eine einschränkende Auslegung der Heimtücke erforderlich.


Problembehandlung


Ansicht 1: Teilweise wird diese Einschränkung über das Kriterium des Handelns in feindlicher Willensrichtung vorgenommen, das Tötungen, die zum vermeintlich Besten des Opfers geschehen aus dem Anwendungsbereich des § 211 ausschließt (BGHSt 9, 390; 30, 105; Kaspar JA 2007, 702). Das Bewusstsein der nicht hinreichend begrenzbaren Weite des Begriffs hat zusätzlich zu der Anerkennung einer übergesetzlichen Strafmilderung nach dem Maßstab des § 49 I Nr. 1 geführt, die in Einzelfällen Anwendung finden soll, wenn die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe angesichts außergewöhnlicher Umstände unverhältnismäßig erscheint (BGHSt 48, 262; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 211 Rn. 6).


Kritik: Die an sich billigenswerte Einschränkung am Tatbestandsmerkmal des "Ausnutzens" festzumachen, geht fehl, weil die Tötung, unbeachtet etwaiger anderer Motivationen, dennoch eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit bleibt (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, 3. Aufl. 2015, § 2 Rn. 46; BGH NJW 1978, 709). Zudem bietet diese Ansicht kaum überzeugende Lösungen für andere, nicht altruistisch, begangene heimtückische Tötungen (z.B. nach starker Provokation oder bei der Tötung gewalttätiger Familientyrannen). Gegen eine Strafmilderung nach § 49 I Nr. 1 analog spricht zudem, dass der Gesetzgeber eine Milderungsmöglichkeit gerade nicht gesehen hat und der Begriff der "außergewöhnlichen Umstände" zudem sehr vage ist.


Ansicht 2: Andere verlangen (statt dessen oder zusätzlich) für eine heimtückische Tötung einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch, der in der Ausnutzung eines zwischen Täter und Opfer bestehenden Vertrauensverhältnisses zu sehen ist (Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben StGB, 30. Aufl. 2019, § 211 Rn. 26; Hassemer JuS 1971, 630). Der Begriff des Vertrauensverhältnisses dürfe dabei weder mit schlichter Arglosigkeit gleichgesetzt werden noch auf lediglich institutionalisierte Vertrauensbeziehungen familiärer oder freundschaftlicher Art begrenzt werden. Leitgedanke soll vielmehr der Missbrauch sozial-positiver Verhaltensmuster sein (Meyer JR 1979, 485 ff.; Sch/Sch/Eser/Sternberg-Lieben StGB, § 211 Rn. 26a).


Kritik: Der Begriff des Vertrauens bedarf selbst der Auslegung und ist daher nicht geeignet, eine feste Maßgabe für das Vorliegen einer gesondert zu bestrafenden verwerflichen Gesinnung zu bieten. Ferner verkürze das Erfordernis eines Vertrauensmissbrauchs das Mordmerkmal der Heimtücke zu stark, so dass besonders gefährliche Fernraumdelikte herausfallen, in denen zwischen Täter und Opfer vor der Tat keine Beziehung bestand (Attentate) (Kindhäuser Strafrecht BT I, 8. Aufl. 2017, § 2 Rn. 30; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, § 2 Rn. 50).















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 14.06 Uhr bearbeitet.



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