Akzessorietätslockerung – Das Verhältnis von Mord zu Totschlag
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Mord; Totschlag; Verhältnis; Akzessoritätslockerung; besondere persönliche Merkmale; gekreuzte Mordmerkmale
Problemaufriss
Die Strafe für Anstifter und Gehilfe richtet sich grundsätzlich nach der für den Täter geltenden Strafandrohung. Diese Akzessorietät kann jedoch durch § 28 gelockert werden. Fehlen beim Anstifter oder Gehilfe besondere persönliche Merkmale, die die Strafbarkeit begründen, so ist die Strafe für den Teilnehmer nach §§ 28 I, 49 zu mildern. Bestimmt das Gesetz, dass besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt dies gem. § 28 II nur für den Täter oder Teilnehmer bei dem sie vorliegen. Fraglich ist, ob die Mordmerkmale des § 211 solche besonderen persönlichen Merkmale i.S.d. § 28 darstellen. Wohingegen dies nach überwiegender Meinung für die tatbezogenen Mordmerkmale der 2. Gruppe verneint wird, ist die Einordnung der Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe umstritten. Soweit diese Mordmerkmale als besondere persönliche Merkmale bejaht werden, ist ferner umstritten, ob durch sie die Strafe begründet (§ 28 I) oder lediglich modifiziert (§ 28 II) wird, was auf einem unterschiedlichen Verständnis über das Verhältnis der Tötungsdelikte untereinander beruht.
Problembehandlung
Ansicht 1: Bei den Mordmerkmalen der 1. und 3. Gruppe handelt es sich um besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 28. Die §§ 211 und 212 I sind aber selbständige, voneinander unabhängige Sondertatbestände, die in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen (vgl. nur BGHSt 22, 375, 377; Puppe JR 1984, 229, 233).
Die Mordmerkmale begründen daher die Strafe und verschärfen sie nicht nur, so dass § 28 I anzuwenden ist. Eine Ausnahme macht diese Ansicht jedoch in Fällen, in denen Täter und Teilnehmer zwar beide täterbezogene Mordmerkmale erfüllten, sich diese jedoch unterscheiden. Da beim Teilnehmer das vom Täter erfüllte Mordmerkmal fehlt, muss dessen Strafe eigentlich gemildert werden, da § 28 I eine Verschärfung der Strafbarkeit des Teilnehmers wegen eigener täterbezogener Merkmale nicht vorsieht. Die Rechtsprechung verneint in diesen Fällen der gekreuzten Mordmerkmale allerdings die Strafmilderung, da die erfüllten Mordmerkmale gleichwertig sind (vgl. Problemfeld der gekreuzten Mordmerkmale).
Kritik: Die §§ 211 und 212 dienen beide dem Schutz des Rechtsguts Leben und erfassen mit der Tötung die gleiche Beeinträchtigung, so dass die Annahme artverschiedener Delikte nicht überzeugt. Zudem kommt man zu unbilligen Ergebnissen, wenn der Teilnehmer ein täterbezogenes Mordmerkmal erfüllt, während der Täter nur einen Totschlag begeht. In diesen Konstellationen kommt es nämlich nicht zu einer Tatbestandsverschiebung. Die Konstruktion der gekreuzten Mordmerkmale ist zudem, auch wenn im Ergebnis richtig, als bloße Billigkeitsrechtssprechung abzulehnen, da sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt.
Ansicht 2: Die Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe sind besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28. Die Tötungsdelikte stehen jedoch in einem Stufenverhältnis, wobei § 212 das Grunddelikt, § 211 dessen Qualifikation und § 216 dessen Privilegierung ist (Rengier Strafrecht BT II, 22. Aufl. 2021, § 4 Rn. 1; Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben StGB, 30. Aufl. 2019, Vor §§ 211 ff. Rn. 5 f.). Der Umstand, dass hier die Qualifikation vor dem Grundtatbestand geregelt wird, liegt in der Bedeutsamkeit des Mordvorwurfs. Die Mordmerkmale modifizieren daher die Strafe nur, womit § 28 II anwendbar ist. Es ist somit auf das Vorliegen des entsprechenden Merkmals beim jeweiligen Beteiligten abzustellen.
Kritik: Die Annahme, dass die Tötungsdelikte ein Stufenverhältnis darstellten, ist verfehlt, da der Mord im Gesetz vor dem Totschlag steht, Qualifikationen jedoch regelmäßig nach dem Grunddelikt geregelt sind. Zudem ergibt sich aus dem Wortlaut des § 212 "ohne Mörder zu sein", dass ein Mörder gerade kein Totschläger ist.
Ansicht 3: Einer dritten Ansicht zufolge bilden die täterbezogenen Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe spezielle Schuldmerkmale im Sinne des § 29 (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 46. Aufl. 2016, Rn. 801; Jescheck/Weigend Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, S. 659 f.). Sie sind nicht lediglich als Reflex des Unrechts zu sehen, sondern prägen den Gesinnungsunwert des Täters. Einschlägig ist daher weder § 28 I oder II, sondern allein § 29. Jeder Beteiligte wird danach bestraft, ob ein Mordmerkmal gerade in seiner Person erfüllt ist. Dies kommt im Ergebnis zu denselben Ergebnissen wie die 2. Ansicht.
Kritik: Die Mordmerkmale sind keine reinen Schuldmerkmale, sondern im Unrecht der Tat zu verorten. Eine Lösung über § 29 führt zu Rechtsunsicherheiten, da die ohnehin schon umstrittene Abgrenzung zwischen §§ 28 II und 29 auf jedes Mordmerkmal einzeln angewandt werden müsste. Dies ist abzulehnen, da über § 29 ohnehin keine anderen Ergebnisse als über § 28 II erzielt würden.
Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 14.05 Uhr bearbeitet.
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