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Anforderungen an die gemeinschaftliche Begehung bei § 224 I Nr. 4







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Gemeinschaftliche Begehung; gefährliche Körperverletzung; Mittäterschaft; Zusammenwirken am Tatort; Teilnehmer; Beteiligte; Bedrohungssituation; § 224 I Nr. 4


Problemaufriss


Eine gefährliche Körperverletzung liegt gem. § 224 I Nr. 4 vor, wenn sie mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen wird. Nach einhelliger Auffassung ist dazu ein Zusammenwirken von mindestens zwei Personen am Tatort nötig. Früher wurde darüber hinausgehend verlangt, dass ein mittäterschaftliches Handeln (§ 25 II) vorliegen müsse. Der frühere Wortlaut "von mehreren gemeinschaftlich" wurde durch das 6. Strafrechtsreformgesetz abgeändert und lautet jetzt "mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich". Ob damit noch immer zwei mittäterschaftlich handelnde Täter erforderlich sind, ist allerdings äußerst umstritten.


Beispiel: A schlägt auf den am Boden liegenden B ein. C der zufällig vorbeikommt feuert den A dabei an. Liegt ein Fall des § 224 I Nr. 4 vor?


Problembehandlung


Ansicht 1: Auch nach dem 6. Strafrechtsreformgesetz wird das Zusammenwirken von zwei Mittätern am Tatort verlangt (Nomos Kommentar StGB/Paeffgen/Böse, 5. Aufl. 2017, § 224 Rn. 23 f.; Schroth NJW 1998, 2861 f.; für § 177 II StGB Renzikowski NStZ 1999, 377, 382; Krey/Hellmann/Heinrich Strafrecht BT I, 16. Aufl. 2015, Rn. 267 ff.).


Kritik: Diese Auffassung widerspreche dem Wortlaut. Der Gesetzgeber habe durch die neue Formulierung eindeutig klargestellt, dass Mittäterschaft nicht mehr erforderlich sei, da nach der Legaldefinition in § 28 II auch Teilnehmer Beteiligte sein können. Die oftmals umstrittene Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Teilnahme könne zudem kein greifbares Abgrenzungskriterium darstellen. Dagegen spreche auch der Zweck des § 224 I Nr. 4. Dessen erhöhter Strafrahmen trage der Tatsache Rechnung, dass typischerweise das Zusammenwirken mehrerer Personen am Tatort für das Opfer eine besondere Bedrohungssituation darstelle und aufgrund geringerer Verteidigungsmöglichkeiten eine gesteigerte Gefährlichkeit besitze. Für das Opfer sei es dabei irrelevant und häufig auch gar nicht erkennbar, ob Mittäterschaft oder lediglich Teilnahme vorliege.


Ansicht 2: Eine zweite Ansicht vertritt dementsprechend, dass i.R.d. § 224 I Nr. 4 das Zusammenwirken des Täters mit einem Teilnehmer am Tatort ausreiche (BGHSt 47, 383 ff.; Münchener Kommentar StGB/Hardtung, 3. Aufl. 2017, § 224 Rn. 35 ff.; Rengier Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 14 Rn. 47 ff.; Leipziger Kommentar StGB/Lilie, 11. Aufl. 2005, § 224 Rn. 34 f.; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 12. Aufl. 2018, § 224 Rn. 41; Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, 40. Aufl. 2016, Rn. 281). Jedoch stellt sich die Frage, wann das Zusammenwirken von Täter und Teilnehmer die Qualität einer "gemeinschaftlichen Begehung" aufweist. Dies soll nicht der Fall sein, wenn...


a) ...der Beteiligte vom Opfer überhaupt nicht wahrgenommen werde, denn dann fehle es an der mit der gemeinschaftlichen Begehung typischer Weise verbundenen gesteigerten (psychischen) Bedrohungs- und Gefährdungssituation für das Opfer. (Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 224 Rn. 7; LK/Lilie, § 224 Rn. 35) Eine andere Ansicht nach, die als Strafgrund des § 224 I Nr. 4 die abstrakt erhöhte Gefahr durch das Zusammenwirken der Täter annimmt, ist auch in diesem Fall eine Strafbarkeit gem. § 224 I Nr. 4 zu bejahen (BGH NStZ 2006, 572; MK/Hardtung, § 224 Rn. 36; Rengier Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 14 Rn. 46).


b) ...die Beteiligten nicht einverständlich zusammenwirkten, also lediglich eine zufällig gleichzeitige Tatausführung vorliegt, so z.B. bei der Nebentäterschaft oder wenn der Haupttäter die Beihilfe nicht bemerkt (Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben StGB, 29. Aufl. 2014, § 224 Rn. 11b; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, § 224 Rn. 43; Heinrich JR 2003, 213, 214; Wallschläger JA 2002, 390, 394).


c) ...lediglich psychische Teilnahme in Form von Anstiftung oder psychischer Beihilfe vorliege und diese nicht mit offensichtlicher Eingriffsbereitschaft verbunden sei, da dort das für die erhöhte Gefährlichkeit erforderliche gesteigerte Aggressionspotential fehle (LK/Lilie, § 224 Rn. 35; Lackner/Kühl/Kühl StGB, § 224 Rn. 7; Heinrich JR 2003, 213, 214 f.; Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, Rn. 281; Küper GA 2003, 363, 380 ff.).


d) ...die Beteiligung lediglich in einem garantenpflichtwidrigen Unterlassen bestehe; in einem solchen Fall soll keine Schmälerung der (psychischen) Verteidigungsbereitschaft und –fähigkeit vorliegen (Rückausnahme: die Untätigkeit des Teilnehmers ist Teil des gemeinsamen Tatplans) (Sch/Sch/Stree/Sternberg-Lieben StGB, § 224 Rn. 11b; LK/Lilie, § 224 Rn. 35; Küper Strafrecht BT, 8. Aufl. 2012, S. 60).


Kritik: Bei einem Zusammenwirken von Täter und Teilnehmer könne nicht von einer gemeinschaftlichen Tatbegehung gesprochen werden, denn ein Teilnehmer begehe eben keine Tat, sondern leiste hierzu lediglich Hilfe bzw. stifte dazu an. Auch sei aus den Beratungen zum 6. Strafrechtsreformgesetz nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber etwas an der bis dahin gängigen Praxis habe ändern wollen. Vielmehr sei das Opfer gerade dann gefährdet, wenn es zwei mittäterschaftlich zusammenwirkenden Tätern gegenüberstehe. Nur in diesen Situationen sei der hohe Strafrahmen des § 224 I Nr. 4 zu rechtfertigen, da das gegenseitige "Aufschaukelungsrisiko" die erforderliche Steigerung der Gefährlichkeit berge.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 14.11 Uhr bearbeitet.



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