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Versuch des Regelbeispiels







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Regelbeispiel; Versuch; Strafzumessungsregeln; Grundtatbestand


Problemaufriss


Es sind drei Konstellationen denkbar, in denen die Frage nach einer Versuchsstrafbarkeit mit derjenigen nach der Indizwirkung des Regelbeispiels kollidiert:


1. Grundtatbestand versucht – Regelbeispiel erfüllt
2. Grundtatbestand versucht – Regelbeispiel „versucht"
3. Grundtatbestand voll verwirklicht – Regelbeispiel „versucht“




Beispiel 1: Grundtatbestand versucht – Regelbeispiel erfüllt
Um den Dienstrechner des O zu stehlen, bricht T in dessen Geschäftsräume ein. Da er den Rechner nicht finden kann, geht er unverrichteter Dinge wieder nachhause.


Ansicht 1: Nach heute ganz herrschender Meinung kann hier ein versuchter Diebstahl in einem besonders schweren Fall angenommen werden. Da das Regelbeispiel des § 243 I 1, 2 Nr. 1 voll verwirklicht wurde, ist dessen Indizwirkung gegeben, weshalb keinerlei Bedenken gegen dessen Anwendung bestehen (BGH NStZ 1985, 217 f.; Münchener Kommentar StGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, § 243 Rn. 86; Schönke/Schröder/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, § 243 Rn. 44).


Freilich kann in einem solchen Fall sodann aber die Frage gestellt werden, ob die Indizwirkung des Regelbeispiels nicht widerlegt ist, weil eine nur versuchte Tat einen geringen Unrechtsgehalt ausweist als eine vollendete (MüKo StGB/Schmitz, § 243 Rn. 86). Diesem verringerten Unrechtsgehalt kann man aber auch dadurch gerecht werden, dass man von der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit nach §§ 23 II, 49 I Gebrauch macht. Diese Milderungsmöglichkeit ist ohnehin immer in Versuchskonstellationen zu berücksichtigen.


Ansicht 2: Früher wurde mitunter ausgeführt, die Tatsache, dass die Tat im Versuchsstadium stecken blieb, stelle schon per se einen besonderen Umstand dar, der die Indizwirkung des Regelbeispiels aufhebe (Arzt StV 1985, 104 ff.; Calliess JZ 1975, 112, 118).


Kritik: In systematischer Hinsicht ist aber zu sehen, dass § 243 I S. 1 auf den Diebstahl insgesamt und damit auch auf den versuchten Diebstahl gem. § 242 II verweist (Kindhäuser Strafrecht BT II, 10. Aufl. 2019, § 3 Rn. 54).


Beispiel 2: Grundtatbestand versucht – Regelbeispiel „versucht"
T will mit einem Brecheisen die Autotür des O aufbrechen, um das Autoradio zu entwenden. Gerade als er mit dem Brecheisen ansetzt, stellt er fest, dass das Auto gar nicht verschlossen ist. Er öffnet die Tür, muss dann aber weiterhin feststellen, dass O das Radio aus seinem Auto ausgebaut hat, sodass nichts zu holen ist.


Ansicht 1: Nach Ansicht der Rechtsprechung sei die Indizwirkung des Regelbeispiels auch in einem solchen Fall gegeben. Der Wille zu dessen Realisierung sei gegeben und in der Form des unmittelbaren Ansetzens auch betätigt worden. Die Regelbeispiele seien doch „tatbestandsähnlich“ und könnten daher auch versucht werden (BGHSt 33, 370; Schäfer JR 1986, 522, 523; Kindhäuser BT II, § 3 Rn. 56). Die gesetzliche Änderung der Qualifikationstatbestände hin zu den Regelbeispielen habe nichts an der Versuchsstrafbarkeit ändern wollen.


Vor diesem Hintergrund verdient die insoweit bemerkenswerte Rechtsprechung Beachtung, die beim Regelbeispiel des § 263 III 2 Nr. 2 Var. 1 eine solche Konstruktion explizit ablehnt (BGH wistra 2007, 111).


Kritik: Schon begrifflich bereitet diese Konstruktion jedoch Bedenken. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 22 („zur Verwirklichung der Tat unmittelbar ansetzt“) sind nur echte Tatbestände einer Versuchsstrafbarkeit zugänglich. § 243 kodifiziert aber Strafzumessungsregeln und eben keine Tatbestände. Mit Blick auf Art. 103 II GG kann ein solches Regelbeispiel daher nicht versucht werden (vgl. BeckOK StGB/Wittig, 49. Edition 2021, § 243 Rn. 30). Im Übrigen stünden auf dem Boden dieser Auffassung vollständige, versuchte und vermeintliche Erfüllung eines Regelbeispiels völlig gleich. Entscheidend wäre nur noch der böse Wille und dessen Betätigung. Der Tatrichter könnte den Nachweis der Erfüllung eines Regelbeispiels stets ausdrücklich offenlassen, sofern denn erwiesen ist, dass sich der Täter jedenfalls dessen Voraussetzungen vorgestellt hat. So käme es etwa nicht darauf an, ob ein Schlüssel wirklich falsch ist oder der Täter sich dies nur vorgestellt hat (Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT II, 41. Aufl. 2018, Rn. 217).


Ansicht 2: Nach herrschender Auffassung in der Literatur soll das Regelbeispiel in solchen Fällen daher keine Indizwirkung entfalten. Es handele sich eben um eine Strafzumessungsregel und nicht um ein Tatbestandsmerkmal; eine Indizwirkung könne daher nur eintreten, wenn das Regelbeispiel vollständig erfüllt ist (Schönke/Schröder/Eser/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, § 243 Rn. 44; Wessels/Hillenkamp Strafrecht BT II, Rn. 214; Otto Jura 1989, 200, 201).


Mitunter wird sodann darauf hingewiesen, dass ja dennoch ein unbenannter besonders schwerer Fall iSd § 243 I 1 vorliegen könne (Systematischer Kommentar StGB/Hoyer, 9. Aufl. 2019, § 243 Rn. 54; vgl. aber Sch/Sch StGB/Bosch, § 243 Rn. 44, wonach „dies angesichts des verminderten Unwerts des Versuchs kaum vorstellbar erscheint“).


Beispiel 3: Grundtatbestand voll verwirklicht – Regelbeispiel „versucht“
T will mit einem Brecheisen eine Autotür aufbrechen, um das Autoradio zu entwenden. Gerade als er mit dem Brecheisen ansetzt, stellt er fest, dass das Auto gar nicht verschlossen ist. Er öffnet die Tür und stiehlt das Radio.


Zwar wurde diese Konstellation im Hinblick auf § 243 noch nicht höchstrichterlich entschieden. Mit Blick auf das Regelbeispiel kann sie allerdings nicht anders zu behandeln sein, als die vorherige (vgl. Rengier Strafrecht BT I, 23. Aufl. 2021, § 3 Rn. 56). In beiden Fällen geht es um die Frage, ob ein Regelbeispiel versucht werden kann.


Man könnte hier nun aber an eine Bestrafung wegen vollendeten (einfachen) Diebstahls in Tateinheit (§ 52) mit einem versuchten Diebstahl in einem besonders schweren Fall denken. Da § 243 indes keine selbstständigen Qualifikationstatbestände kodifiziert, bereitete dies jedoch erhebliche Bedenken. Kindhäuser (BT II, § 3 Rn. 56) schlägt daher vor, insgesamt einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall zu bejahen und darauf die fakultative Strafmilderung nach §§ 23 II, 49 I entsprechend anzuwenden.


Hinweis: Darüber hinaus ist umstritten, ob das unmittelbare Ansetzen des Regelbeispiels sich auf das unmittelbare Ansetzen des Grunddelikts auswirkt. Siehe hierzu das entsprechend Problemfeld.















Die Seite wurde zuletzt am 14.8.2023 um 11.53 Uhr bearbeitet.



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