Irrtum unter Zweifeln
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Zweifel; Irrtum; Leichtgläubig; Richtigkeit; Tatsachenangabe; Wahrheitsgehalt; Möglichkeitstheorie; Wahrscheinlichkeitstheorie
Problemaufriss
Schließen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Erklärung des Täters einen Irrtum über Tatsachen i.S.d. § 263 aus? Liegt also nur dann ein Irrtum vor, wenn das Opfer seine unrichtige Vorstellung für sicher zutreffend erachtet oder irrt i.S.d. § 263 auch, wer Zweifel an seiner Tatsachenvorstellung hat?
Beispiel: T verspricht der Anlegerin A "das Geschäft ihres Lebens" und "ein Trauminvestment". Er wirbt dabei mit einer Rendite von 17 % p.a. Die A ist skeptisch und vermutet, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Da sie aber risikofreudig ist und etwas "Spielgeld" übrig hat, geht sie auf das Geschäft des T ein. Der T verbraucht das Geld für sich.
Problembehandlung
Ansicht 1: Nach der Möglichkeitstheorie sind Zweifel des Opfers unschädlich, solange es die behauptete Tatsache als möglicherweise richtig erachtet und auf dieser Motivationsgrundlage seine Vermögensverfügung trifft (BGH NJW 2003, 1198, 1199; BGHSt 24, 257, 260; Schönke/Schröder/Perron StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 40; Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT II, 43. Aufl. 2020, Rn. 512). Es muss prinzipiell auch das zweifelnde Opfer geschützt werden, da ein Mitverschulden des Opfers grundsätzlich im Strafrecht unbeachtlich ist. Teilweise werden bewusste Risikoentscheidungen (Gutes Geschäft, wenn die Behauptung wahr ist, wenn sie unwahr ist, hat es sich nicht ausgezahlt) ausgeklammert, da der Verfügende hier gerade nicht durch die Verfügung zeigt, dass er sich über Tatsachen hat täuschen lassen (Münchener Kommentar StGB/Hefendehl, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 368).
Kritik: Hiernach würde der Schutzbereich des Betrugstatbestandes überdehnt, denn jede die Vermögensverfügung verursachende Vorstellung würde ausreichen, gleichgültig wie hoch die Zweifel bzw. die Risikobereitschaft des Geschädigten gewesen ist.
Ansicht 2: Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie soll ein Irrtum erst dann gegeben sein, wenn der Getäuschte die behauptete Tatsache als mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für wahr erachtet hat (Giehring GA 1973, 16 f.; Heghmanns Strafrecht BT, 2009, Rn. 1210). Dadurch kann besser zwischen dem schutzwürdigen, vorsichtig abwägend Agierenden und dem risikobereiten Spekulanten unterschieden werden.
Kritik: Verschiedene Grade an Wahrscheinlichkeitsvorstellungen sind kaum belegbar und regelmäßig gar nicht auffindbar.
Ansicht 3: Die viktimologisch-viktimodogmatische Theorie hält einen Irrtum für ausgeschlossen, wenn die Zweifel des Getäuschten auf konkreten Anhaltspunkten wie z.B. Unwahrscheinlichkeit oder Widersprüchlichkeit der Behauptungen beruhen (Amelung GA 1977, 1, 6 ff.; Blei JA 1977, 91 f.). Der Zweifelnde könne sich im Gegensatz zum Irrenden dann selbst schützen, indem er die Information überprüfe. In diesem Fall müsse das scharfe Schwert des strafrechtlichen Schutzes nicht geschwungen werden; der Grundgedanke der Subsidiarität des Strafrechts setze sich durch.
Kritik: Betrugstypisch ist es, dass sich der Täter bestimmte "Schwachstellen" des Opfers aussucht. Dem vorsätzlich Schädigenden aber durch ein Opfermitverschulden eine Straflosstellung zu ermöglichen, gewähre einen kriminalpolitisch sinnlosen Handlungsfreiraum.
Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 9.31 Uhr bearbeitet.
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