Anstellungsbetrug
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Betrug; Anstellung; Arbeitgeber; Arbeitnehmer; Bewerber; Täuschung; Irrtum; Qualifikation; Eingehungsbetrug; Schaden; Vermögensgefährdung; Lohnanspruch
Problemaufriss
Grundsätzlich lassen sich die Überlegungen zum Eingehungsbetrug (siehe das Problemfeld hier) auch auf den Fall der Täuschung bei der Bewerbung auf ein Arbeitsverhältnis übertragen. Der sog. Anstellungsbetrug bildet einen Sonderfall des § 263: Der Arbeitgeber kann bei Eingehung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Arbeitnehmer einen Schaden dadurch erleiden, das er kein Äquivalent erhält, der Arbeitnehmer also die von ihm versprochene Leistung nicht erbringen kann. Bereits in der Einstellung ist ein Handeln, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, mithin eine Vermögensverfügung, zu erkennen, da mit Vertragsschluss der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsvertrag einen Lohnanspruch erhält, der eine negative Position im Vermögen des Arbeitgebers bildet.
Fraglich ist, wann hierbei ein Vermögensschaden in Form einer konkreten Vermögensgefährdung des Arbeitgebers und damit ein vollendeter Betrug nach § 263 bejaht werden kann.
Problembehandlung
Ein Vermögensschaden liegt dann vor, wenn die durch die Vermögensverfügung verursachte Vermögensminderung nicht durch den Zufluss einer wirtschaftlich zumindest gleichwertigen positiven Vermögensposition kompensiert worden ist (BGHSt 3, 99, 102; BGHSt 53, 199, 201 f.).
1. Beschäftigung im nicht-öffentlichen Sektor
a) Leistungsabhängige Vergütung
Ein solches negatives Saldo ergibt sich, wenn die Vergütungspflicht des Arbeitgebers die Leistungsverpflichtung des Arbeitnehmers wertmäßig übersteigt, ohne dass der Arbeitgeber dies verhindern könnte. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer ein vergütungsrelevantes Äquivalent nicht erbringen kann. Falls der Arbeitnehmer bei Bewerbung über seine Qualifikation täuscht, ist demnach hierin solange kein vollendeter Betrug zu sehen, wie er seine Leistung anforderungsgemäß erfüllen kann: Dem Arbeitgeber entsteht dann kein Vermögensschaden.
b) (Mitunter) leistungsunabhängige Vergütung
Anders ist zu urteilen, soweit die Lohnzahlung nach leistungsunabhängigen Kriterien erfolgt. Dies ist beispielsweise bei besonderen beruflichen Qualifikationen, wie einem Doktortitel in Anwaltskanzleien, oder bei Erwartung besonderer persönlicher Eigenschaften, wie Zuverlässigkeit oder besondere Vertrauenswürdigkeit, der Fall, die Voraussetzung für die entsprechende Höhe der Vergütung sein sollen (Rengier Strafrecht BT I, 22. Aufl. 2020, § 13 Rn. 226; BGH NJW 1978, 2042 f.). Täuscht ein Bewerber über das Vorliegen derartiger Merkmale, entsteht dem Arbeitgeber unabhängig von der Fähigkeit der Leistungserbringung ein Vermögensschaden.
c) Vorstrafen
Problematisch ist, inwieweit das Verschweigen einer Vorstrafe einen Vermögensschaden begründen kann:
Ansicht 1: Während das RG (RGSt 75, 8) und zunächst auch der BGH (BGH GA 1956, 121) dies generell bejahten, nimmt die heutige Rechtsprechung (BGHSt 17, 254; BGH NJW 1978, 2042) eine schädigende Vermögensgefährdung an, wenn der einschlägig vorbestrafte Angestellte Verfügungsgewalt über die Vermögensgegenstände des Arbeitgebers erhält.
Beispiel: Ein Bewerber verschweigt bei seiner Einstellung als Kassierer in einem Supermarkt, dass er wegen Betruges vorbestraft ist.
Kritik: Es erscheint zu weitgehend, aus der bloß erleichterten Zugriffsmöglichkeit in Kombination mit einer Vorstrafe ein schadensrelevantes Risiko und damit in der täuschungsbedingten Einstellung einen strafbaren vollendeten Betrug zu erblicken. Vielmehr müsste der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich ein weiteres Delikt begehen, um diesen zu schädigen. Mit der Einstellung hat sich der Vorbestrafte allenfalls Gelegenheit zu einer solchen erneuten Begehung geschaffen, es fehlt in diesem Fall jedoch an dem erforderlichen Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Vermögensverfügung und Vermögensschaden (Münchener Kommentar StGB/Hefendehl, 3. Aufl. 2019, § 263 Rn. 672 f.).
Ansicht 2: Aufgrund der genannten Kritik verneint die herrschende Lehre daher einen Vermögensschaden bei Verschweigen einer Vorstrafe durch den Bewerber (Nomos Kommentar StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 263 Rn. 326; Schönke/Schröder/Perron StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 154; Leipziger Kommentar StGB/Tiedemann, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 223, 63; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, 3. Aufl. 2015, § 20 Rn. 109).
2. Beamtenstellung/öffentlicher Sektor
Bei Beamten ist ein Schaden zu bejahen, wenn sie das Vorliegen laufbahnrechtlicher Ernennungsvoraussetzungen wahrheitswidrig vorspiegeln (MüKo StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 225).
Fraglich ist aber, ob ein Betrug auch bereits dann vorliegt, wenn ein Bewerber im öffentlichen Sektor Vorstrafen oder beispielsweise seine berufliche Vergangenheit bei der Stasi verschweigt:
Ansicht 1: Nach Auffassung der Rechtsprechung sei ein Vermögensschaden und damit ein vollendeter Betrug bereits dann zu bejahen, wenn naheliegt, dass das Fehlen einer persönlichen Eignung sich negativ auf die Amtsführung nach außen und damit auf die Qualität der Dienstleistung auswirke: Ein Betrug sei deshalb zu bejahen, wenn ein Bewerber für den öffentlichen Dienst über seine frühere Tätigkeit als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) für das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) der DDR täusche (BGHSt 45, 1).
Losgelöst von diesem Fall wollen Stimmen in der Literatur einen Schaden dann bejahen, wenn die einstellende Behörde den Bewerber infolge einer Ermessensreduktion auf Null aufgrund gesetzlicher Normen oder Verwaltungsvorschriften ablehnen oder aufgrund von Mängeln entlassen müsste (LK/Tiedemann, § 263 Rn. 224; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, § 20 Rn. 109; NK/Kindhäuser, § 263 Rn. 324).
Kritik: Eine solche Ansicht verlässt jedoch den Bereich des Vermögensschutzes und führt zu einer allgemeinen Sicherung der staatlichen Verwaltung. Tatsächlich ist in derartigen Fällen sowie beim Verschweigen von Vorstrafen durch Beamtenanwärter nicht das Vermögen, sondern die Dispositionsfreiheit des Staates - in Gestalt des öffentlichen Dienstes - als solchem betroffen; das bloße Interesse, keine vorbestrafte o.ä. Personen einzustellen, hat keinen Vermögenswert (vgl. MüKo StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 229; Rengier BT I, § 13 Rn. 227). Da § 263 StGB ausweislich seines Wortlautes aber nur das Vermögen schützt, ist dies mit den Anforderungen des Art. 103 II GG nicht in Einklang zu bringen .
Ansicht 2: Ein Schaden kann daher nur dann vorliegen, wenn über Eigenschaften getäuscht wird, welche die Leistung des Beamten und den Wert seiner Arbeitsleistung, nicht aber bei Eigenschaften, die allein die Anforderungen bzgl. der Einstellung als Beamter betreffen. Es fehlt dann an der Vermögensrelevanz der Täuschung (MüKo/Hefendehl, § 263 Rn. 671 ff.).
Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 9.32 Uhr bearbeitet.
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