Erfordernis einer bewussten Vermögensverfügung
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Kasse; Supermarkt; innere Willensrichtung; Verfügungsbewusstsein; Unterlassen; Trickdiebstahl
Problemaufriss
Ungeschriebene Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 263 I ist, dass die vom Täter getäuschte Person irrtumsbedingt über ihr eigenes Vermögen oder das eines Dritten verfügt und sich dabei über den vermögensrelevanten Charakter der Verfügung im Klaren ist. Umstritten ist, ob die Person immer mit Verfügungsbewusstsein handeln muss, oder ob es hiervon Ausnahmen geben kann.
Problembehandlung
Ansicht 1: Nach herrschender Auffassung bedarf es beim Betrug nicht generell eines Verfügungsbewusstseins. Insbesondere ist ein solches in den Fällen des Betrugs durch Unterlassen, der Unterschriftserschleichung oder der Verfügungen durch Unterlassen nicht erforderlich (Beck’scher Online-Kommentar StGB/Beukelmann, 52. Ed. 01.02.22, § 263 Rn. 36). Wohl aber ist ein Verfügungsbewusstsein beim Sachbetrug notwendig, der nur über dieses Kriterium der inneren Willensrichtung des Opfers sinnvoll vom Trickdiebstahl abgegrenzt werden kann (vgl. hierzu das entsprechende Problemfeld; Beck’scher Online-Kommentar StGB/Beukelmann, § 263 Rn. 36). Duldet der Getäuschte die Gewahrsamsübertragung, liegt hierin die Erklärung des Einverständnisses mit derselben, mithin keine Wegnahme im Sinne des § 242 I (Schönke/Schröder/Perron StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 60). In den Fällen des Forderungsbetrugs muss hingegen zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken auf dieses Erfordernis verzichtet werden, zumal ein Diebstahl in derartigen Fällen ohnehin nicht in Betracht kommt: Andernfalls wäre der Täter, der eine Forderung erschleicht oder mit seinem Verhalten die Geltendmachung oder Durchsetzung eines einem anderen zustehenden Anspruchs verhindert, straffrei (Rengier Strafrecht BT I, 23. Aufl. 2021, § 13 Rn. 64 f.).
Kritik: Beachtet man den Charakter des Betrugs als Selbstschädigungsdelikt, erscheint das Erfordernis des Verfügungsbewusstseins als in jedem Fall unverzichtbarer Motivationskonnex zwischen Irrtum und Vermögensverfügung. So muss das Opfer der Täuschung gerade durch den verursachten Irrtum schädigend über sein Vermögen verfügen. Auch bei der Übertragung von Rechten bedarf es eines bewussten, in seiner Bedeutung für die Verfügung konstitutiven (Rechts-)Aktes (Münchener Kommentar StGB/Hefendehl, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 406 u. Fn. 1178).
Ansicht 2: Nach anderer Auffassung ist das Vorliegen eines Verfügungsbewusstseins stets erforderlich, auch in den Fällen des Forderungsbetrugs. Dabei soll – in Abweichung zu oben genannter Definition – nicht erforderlich sein, dass sich der Verfügende der Vermögensrelevanz seiner Handlung bewusst ist. Vielmehr sei das Bewusstsein ausreichend, überhaupt eine Handlung vorzunehmen bzw. zu unterlassen, die objektiv als vermögensmindernd zu bewerten und notwendigerweise als vom Täter durch die Täuschung hervorgerufene Mitwirkungshandlung des Getäuschten zu interpretieren ist. Der Täter muss sein Opfer also dazu bringen, sich infolge der Täuschung anders als sonst üblich zu verhalten. (MK/Hefendehl, § 263 Rn. 411, 415)
Beispiel: Schmuggelt der Täter in seinem Mantel oder im Einkaufswagen versteckte Waren an der Kasse eines Supermarkts vorbei, ist eine Vermögensverfügung seitens des Kassierers zu verneinen: Da Mantel- und umfassende Wagenkontrollen bei Supermärkten nicht üblich sind, muss der Täter in diesen Fällen gerade nicht (kommunikativ) darauf hinwirken, dass sich der Kassierer anders als üblich verhält, weshalb der Erfolg der Tat allein vom Geschick des Täters, nicht vom Irrtum des Kassierers abhängt (MK/Hefendehl, § 263 Rn. 412, 416 ff.). Die Bejahung eines Betrugs in derartigen Fällen durch die Annahme eines generellen Verfügungswillens durch das OLG Düsseldorf (NJW 1993, 1407, 1408) wurde vom BGH (NJW 1995, 3129, 3130) mit Verweis darauf, dass es sich bei einem solchen generellen Willen um eine bloße Fiktion handelt, abgelehnt.
Zur Vertiefung: MK/Hefendehl, § 263 Rn. 405 ff.
Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 9.48 Uhr bearbeitet.
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