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Verhältnis des Trickdiebstahls zum Sachbetrug im Zwei-Personen-Verhältnis







Tags


§ 263; Wechselgeldfalle; SB-Laden; Tankstelle; Trickdiebstahl; Sachbetrug; Unmittelbarkeit; Freiwilligkeit; Vermögensverfügung; Wegnahme; Verfügungsbewusstsein; Abgrenzung; Exklusivitätsverhältnis; § 242


Problemaufriss


Ein Trickdiebstahl kommt in Betracht, wenn sich der Täter die Wegnahme einer Sache dadurch erleichtert, dass er das Opfer täuscht. Aufgrund dieses Täuschungselements könnte allerdings zugleich auch der Betrugstatbestand erfüllt sein (sog. Sachbetrug). Fraglich ist daher, in welchem Verhältnis § 242 und § 263 zueinanderstehen und wie beide Delikte in Zweifelsfällen des Sachbetrugs voneinander abzugrenzen sind.
Beispiel 1: A versteckt beim Einkaufen in seinem Einkaufswagen hinter einer Kiste Mineralwasser einen MP3-Player. Da die Kassiererin diesen nicht sehen kann, bezahlt A lediglich das Wasser und verlässt daraufhin den Laden. Wie hat sich A strafbar gemacht?
Beispiel 2: A und B geben sich als Vollstreckungsbeamte aus und geben gegenüber dem C vor, sie müssten eine in dessen Eigentum stehende Sache beschlagnahmen. C gibt die Sache heraus, da er glaubt sich dem vermeintlichen Zwang ja ohnehin, beugen zu müssen.


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach einer Mindermeinung könne der Täter durch eine Handlung sowohl den Tatbestand des § 263 als auch denjenigen des § 242 erfüllen, wobei dann zwischen beiden Delikten Idealkonkurrenz anzunehmen sei (Herzberg ZStW 89 [1977], 367, 374 ff.; Walter Jura 2002, 415, 420 f.; Joecks Zur Vermögensverfügung beim Betrug, 1982, S. 122).


Kritik: Kennzeichnend für den Betrug ist, dass der Vermögensschaden beim Opfer durch eine Vermögensverfügung unmittelbar, d.h. ohne weitere deliktische Zwischenschritte des Täters, herbeigeführt wird. Diese Vermögensverfügung ist das Ergebnis eines durch Täuschung erschlichenen Willensentschlusses des Opfers. Beim Diebstahl hingegen beruht die Schädigung des Opfers auf der Wegnahme der Sache, d.h. auf einem eigenmächtigen Zugriffsakt des Täters. Während sich der Diebstahl im Ergebnis also als ein Fremdschädigungsdelikt darstellt, handelt es sich beim Betrug um ein sog. Selbstschädigungsdelikt. Dieselbe Handlung kann jedoch nicht Wegnahme und Hingabe zugleich sein, sodass ein gemeinsames Verwirklichen von Diebstahl und Betrug durch dieselbe Handlung ausscheidet (Wessels/Hillenkamp/Schuhr Strafrecht BT II, 45. Aufl. 2022, Rn. 658).


Ansicht 2: Ganz herrschend wird daher angenommen, dass Diebstahl und Betrug in einem Exklusivitätsverhältnis stünden, sich also gegenseitig ausschlössen (BGHSt 14, 170 (172); 41, 201 f.; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, § 263 Rn. 74; Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 263 Rn. 31; Rengier Strafrecht BT I, 24. Aufl. 2022, § 13 Rn. 81). Der Betrug beruhe auf einer vermögensschädigenden Verfügung des Opfers (beim Sachbetrug: Gewahrsamsübertragung), wohingegen der Diebstahl durch den eigenmächtigen Zugriff des Täters auf die Sache gekennzeichnet sei. Liege daher eine Wegnahme vor, so sei eine Vermögensverfügung ausgeschlossen und umgekehrt. Es bedürfe daher einer Abgrenzung zwischen den beiden Handlungsformen.
Überwiegend wird diese über das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Vermögensverfügung vorgenommen. Beruht die Vermögensschädigung auf Opferseite auf einer solchen, so liege ein Betrug vor. Ausreichend für die Vermögensverfügung sei gleichwohl nicht bereits jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das zu einer Vermögensminderung führt. Vielmehr seien an die Verfügung im Sinne einer klaren Abgrenzung zusätzliche Anforderungen zu stellen (Wessels/Hillenkamp/Schuhr  BT II, Rn. 659 ff.; Lackner/Kühl/Kühl StGB, § 263 Rn. 22; Münchener Kommentar StGB/Hefendehl, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 396 ff.). Überwiegend wird diesbezüglich gefordert, dass die Verfügung den Schaden des Opfers unmittelbar, d.h. ohne weiteres eigenmächtiges Handeln des Täters, herbeiführen müsse (Wessels/Hillenkamp/Schuhr BT II, Rn. 659). Das hat zur Folge, dass § 242 einschlägig ist, solange die täuschungsbedingte Handlung des Opfers lediglich zu einer Gewahrsamslockerung führt, der Täter den Gewahrsam also noch bricht (Rengier BT I, § 13 Rn. 91 ff.).
Zusätzlich wird darauf abgestellt, dass das Opfer die Vermögensverfügung  freiwillig vornehmen müsse. An dieser Freiwilligkeit fehle es beispielsweise dann, wenn der Täter dem Opfer vorspielt, er sei von der Polizei und müsse die Sache beschlagnahmen (vgl. oben Beispiel 2). Händigt der Betroffene dem Täuschenden sodann die Sache aus, so sei nicht das äußere Erscheinungsbild des Gebens entscheidend. Es komme vielmehr darauf an, dass die Hingabe der Sache oder Duldung ihrer Wegnahme auf einer innerlich freien Willensentschließung beruhe. Das ist im oben genannten Beispiel 2 nicht der Fall, denn das Opfer fügt sich lediglich der vermeintlichen Staatsgewalt. Da der Gewahrsamsverlust hier also nicht freiwillig geschah, ist er nach h.M. nicht durch eine Vermögensverfügung eingetreten, sondern durch eine Wegnahme i.S.d. § 242 (Wessels/Hillenkamp/Schuhr BT II, Rn. 667 ff.).
Schließlich sei beim Sachbetrug ein Verfügungsbewusstsein des Opfers erforderlich. Denn von einem Einverständnis in den Gewahrsamswechsel könne dann keine Rede sein, wenn das Opfer gar nicht weiß, dass es den Gewahrsam überträgt. Dies wird insbesondere im o.g. Kassenfall relevant.
Strittig ist dabei jedoch, ob ein konkretes oder abstraktes Verfügungsbewusstsein vorliegen muss. Würde ein abstraktes Verfügungsbewusstsein ausreichen, hätte der Kassierer über alle den Kassenbereich verlassende Gegenstände Verfügungsbewusstsein, unabhängig davon, ob er sie wahrnimmt oder nicht. Demgegenüber verlangt die herrschende Meinung ein konkretes Verfügungsbewusstsein und meint damit, dass der Kassierer die nicht bezahlten Sachen gesehen haben muss, um ein Verfügungsbewusstsein über diese zu besitzen. Begründet wird diese Ansicht insbesondere damit, dass sonst dem Schutzzweck von § 252 widersprochen werden würde und daraus eine Strafbarkeitslücke folgen würde.


Kritik: Die Exklusivitätsthese ist nicht zwingend. Zwar nimmt der Täter in den Fällen des Trickdiebstahls dem Opfer die Sache weg, jedoch verfügt das Opfer zugleich, indem es den Gewahrsamswechsel aufgrund der Täuschung unterstützt oder es wenigstens unterlässt Ansprüche aus §§ 1004, 861 f. BGB geltend zu machen. Die Abgrenzung zwischen Betrug und Diebstahl kann zudem auch mit den genannten Kriterien nicht immer zweifelsfrei getroffen werden.
Beachte schließlich: Folgt man der ganz herrschenden Auffassung (Ansicht 2) und verlangt stets eine Abgrenzung zwischen Betrug und Diebstahl, so wird diese Abgrenzungsfrage zu einer in der Praxis ganz erheblichen. Zum einen kann daran die Möglichkeit eines Gutglaubenserwerbs anknüpfen. Denn während der gutgläubige Erwerb zwar nicht daran scheitert, dass die Sache durch einen Betrug erlangt worden ist, scheitert er aber doch daran, dass die Sache gestohlen worden und somit i.S.d. § 935 BGB abhandengekommen ist. Zum anderen hängt von der Abgrenzung häufig auch der Versicherungsschutz des Opfers ab, wenn dieser etwa lediglich im Fall des Diebstahls eingreift, nicht aber im Fall des Betrugs. Schließlich ist ein räuberischer Diebstahl, der die erheblichen Raubqualifikationen eröffnet, (§§ 250, 251) nur möglich, wenn als Vortat ein Diebstahl vorliegt (vgl. MüKo StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 389).




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Die Seite wurde zuletzt am 28.5.2024 um 15.45 Uhr bearbeitet.



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