Herstellen einer unechten Urkunde
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Urkunde; echt; unecht; herstellen; verändern; Geistigkeitstheorie; Körperlichkeitstheorie; Stellvertretung; schriftliche Lüge; Aussteller
Problemaufriss
Gem. § 267 I Var. 1 macht sich strafbar, wer eine unechte Urkunde herstellt. Eine Urkunde ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion), die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion) und ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB, 29. Aufl. 2014, § 267 Rn. 2 m.w.N.). Fraglich ist, wann eine unechte Urkunde im Sinne der 1. Var. hergestellt wird.
Problembehandlung
Eine Urkunde ist dann unecht, wenn sie ihren wahren Aussteller nicht erkennen lässt, sondern vielmehr den Anschein erweckt, ein anderer als der tatsächliche Aussteller, garantiere für die Richtigkeit der Urkunde. Umgekehrt ist sie demnach echt, wenn sie von demjenigen stammt, der sich aus ihr auch als Urheber der verkörperten Gedankenerklärung ergibt (Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, 40. Aufl. 2016, Rn. 821, 823).
Beispiel 1: A begleicht seine Schulden bei B, der ihm hierüber eine Quittung ausstellt, jedoch nicht den entsprechenden Schuldschein zu seinen Gunsten aushändigt. Nach dem Tod des B, findet dessen Erbe C jenen Schuldschein und glaubt, A habe seine Schulden noch nicht beglichen. A, der die Quittung zwischenzeitlich verlegt hat, erstellt eine neue Quittung und versieht sie mit der Unterschrift des B. C hält die Quittung für korrekt und verlangt nicht weiter Zahlung von A.
Hier hat sich A nach § 267 I Var. 1 strafbar gemacht: Zwar mag die Quittung einen wahren Umstand bezeugen, sie ist jedoch deshalb unecht, weil vermeintlich B als ihr Aussteller erscheint, tatsächlich aber A die Gedankenerklärung verfasst hat.
Wer für die Richtigkeit der Gedankenerklärung einstehen soll, muss für die Beteiligten zumindest aus den Umständen, die in der Urkunde selbst verkörpert sind, individualisierbar sein; anonymen Gedankenerklärungen kommen schon keine Urkundenqualität zu (Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, 3. Aufl. 2015, § 31 Rn. 11). Ob die Erklärung inhaltlich der Wahrheit entspricht oder nicht (schriftliche Lüge), spielt für die Frage der Echtheit keine Rolle (Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, Rn. 823).
In der Regel – aber nicht zwingend – wird eine unechte Urkunde, wie im obigen Beispiel, durch Unterzeichnen mit falschem Namen hergestellt. Ein Unterzeichnen mit einem anderen als dem eigenen Namen kann aber in den Fällen straffrei sein, in denen keine Identitäts- sondern eine bloße Namenstäuschung vorliegt (Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, Rn. 827 ff.).
Beispiel 2: Der verheiratete D möchte ein Wochenende mit seiner Affäre E in einem Hotel verbringen. Vor Ort geben sich beide als Ehepaar aus und tragen sich unter falschem Namen ins Gästebuch ein. Sofern die beiden nicht mithilfe der falschen Namen die Hotelrechnung prellen wollen, ist die wahre Identität hier für den Rechtsverkehr irrelevant. Es handelt sich um eine bloße Namenstäuschung. Eine Strafbarkeit nach § 267 I Var. 1 scheidet aus.
Fraglich ist, wer "Aussteller" ist, wenn sich der geistige Urheber von einem Dritten bei Erstellen der Urkunde vertreten lässt.
Beispiel 3: F unterschreibt für G mit dessen Willen und Namen sein Testament.
Ansicht 1: Nach der früher vertretenen Körperlichkeitstheorie war lediglich derjenige Aussteller, der die Urkunde körperlich hergestellt hat (aufgeführt bei Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf Strafrecht BT, § 31 Rn. 15).
Beispiel 3: F hat die Urkunde körperlich hergestellt und gilt dieser Ansicht nach als Aussteller. Indem er das Testament mit dem Namen des G versehen hat, hat er eine unechte Urkunde hergestellt.
Kritik: Eine Stellvertretung wäre somit nie straffrei möglich.
Ansicht 2: Nach der heute herrschenden Geistigkeitstheorie gilt hingegen derjenige als Aussteller, der nach außen hin für die Urkunde als Garant einzustehen hat und von dem sie geistig herrührt (BGHSt 13, 382).
Beispiel 3: F handelte auf Anweisung des G. Letzterer ist der geistige Urheber und damit der Aussteller der Urkunde. Als solcher erscheint er auch im Testament. Eine Stellvertretung ist damit grundsätzlich möglich, muss aber gewisse Voraussetzungen erfüllen: Der Vertreter muss für den Namensgeber handeln wollen und mit dessen Einverständnis, sofern das Geschäft überhaupt vertretungsfähig ist.
Im aufgeführten Beispiel ist eine Strafbarkeit nach § 267 I Var. 1 zu bejahen, da die eigenhändig-persönliche Herstellung oder Unterzeichnung einer solchen Urkunde gesetzlich vorgeschrieben, vgl. § 2247 BGB, und die Stellvertretung damit unzulässig ist. Gleiches gilt auch in den Konstellationen, in denen eine eigenhändig-persönliche Herstellung oder Unterzeichnung vom Rechtsverkehr vorausgesetzt wird (z.B. bei Prüfungsarbeiten, eigenhändigen Lebensläufen, der Abgabe eigenhändiger Lebensläufe; Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, Rn. 830 m.w.N.).
Eine unechte Urkunde wird im Übrigen von demjenigen hergestellt, der ein Blankett (z.B. unterschriebener aber nicht ausgefüllter Scheck) ohne oder gegen den Willen des scheinbaren Ausstellers ausfüllt, sog. Blankettfälschung (BGHSt 5, 295; Münchener Kommentar StGB/Erb, 2. Aufl. 2014, § 267 Rn. 121).
Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 10.00 Uhr bearbeitet.
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