Strafbarkeit trotz Vergewisserns, dass sich niemand im Gebäude aufhält
Tags
Brandstiftung; Vergewissern; Schwere Brandstiftung; Gefährdung; Wohnung; Aufenthalt; Inbrandsetzen; Brandlegung
Problemaufriss
§ 306a I ist ein abstraktes (Lebens-)Gefährdungsdelikt, welches ein Verhalten unter Strafe stellt, das typischerweise das Leben von Menschen gefährdet, die sich in den betreffenden Räumlichkeiten aufhalten können. Darauf, ob im Einzelfall tatsächlich Leben gefährdet wird, kommt es grds. nicht an.
Fraglich ist jedoch, ob § 306a I in den Fällen teleologisch zu reduzieren ist, in denen sich der Täter vor der Tat vergewissert hat, dass sich niemand in dem betreffenden Gebäude aufhält.
Beispiel (nach BGH NJW 1975, 1369): A steckt ein dreistöckiges Hotelgebäude mit Gastwirtschaft und Gästezimmern in Brand, nachdem er sich vergewissert hat, dass sich niemand außer ihm im Hotel aufhält. Strafbarkeit des A gem. § 306a I Nr. 1?
Problembehandlung
Ansicht 1: § 306a I ist vor dem Hintergrund der hohen Mindeststrafe (Verbrechen) und des Schuldprinzips in solchen Fällen teleologisch zu reduzieren, in denen feststeht, dass eine Realisierung der (Lebens-)Gefahr ausgeschlossen ist (BGH NJW 1975, 1369; Wessels/Hettinger Strafrecht BT I, 40. Aufl. 2016, Rn. 968; Schönke/Schröder/Heine/Bosch StGB, 29. Aufl. 2014, § 306a Rn. 2; Systematischer Kommentar StGB/Wolters [April 2011], § 306a Rn. 17; Geppert Jura 1998, 597, 601 f.). Erforderlich sei ein objektiver Sorgfaltsmaßstab: Der Täter muss sich durch absolut zuverlässige lückenlose Maßnahmen vergewissert haben, dass die durch § 306a I Nr. 1 und 3 verbotene Gefährdung mit Sicherheit nicht eintreten kann. Dies kommt jedoch regelmäßig nur bei kleinen Räumen in Betracht, bei denen auf einen Blick übersehbar ist, dass sich dort keine Menschen aufhalten (BGH NJW 1982, 2329).
Kritik: Selbst der Grundtatbestand des § 306 ist seit dem 6. Strafrechtsreformgesetz ein Verbrechen, sodass das Anliegen dieser Ansicht, das konkrete Handlungsunrecht dem hohen Strafrahmen anzupassen, seine Berechtigung verloren hat. Dem Schuldprinzip kann im Einzelfall ebenso durch die Annahme eines minder schweren Falles gem. § 306a III Rechnung getragen werden.
Ansicht 2: Durch eine Nichtanwendung des § 306a I in Fällen des "Vergewisserns" würde man das abstrakte an ein konkretes Gefährdungsdelikt annähern. Jedoch hat sich der Gesetzgeber durch die Schaffung eines abstrakten Gefährdungsdelikts gerade dafür entschieden, die Tatbestandsverwirklichung wegen typischerweise mit dem Inbrandsetzen von bestimmten Räumlichkeiten verbundenen Gefahren uneingeschränkt unter Strafe zu stellen. Diese Wertung kann nicht durch einen Ausschluss der abstrakten Gefährlichkeit im Einzelfall korrigiert werden (Rengier Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 40 Rn. 32; Kindhäuser Strafrecht BT I, 7. Aufl. 2015, § 65 Rn. 16; Nomos Kommentar StGB/Kargl, 5. Aufl. 2017, § 306a Rn. 3; Münchener Kommentar StGB/Radtke, 2. Aufl. 2014, § 306a Rn. 46).
Kritik: Der Gesetzgeber hat die erste Ansicht ausdrücklich gebilligt und allein deswegen auf die Einfügung einer tatbestandseinschränkenden Klausel wie in § 326 VI verzichtet (vgl. BT-Drs. 13/8587, S. 47).
Zum Streitstand insgesamt: Hillenkamp 40 Probleme aus dem Strafrecht BT, 12. Aufl. 2013, Problem 15.
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