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Radfahrer-Fall – BGHSt 11, 1







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Pflichtwidrigkeitszusammenhang; objektive Zurechnung; Lastwagen; in dubio pro reo


Sachverhalt


Der Lastwagenfahrer T überholt den Radfahrer O und unterschreitet dabei den nach der StVO gebotenen Seitenabstand zum Fahrrad. O zieht sein Fahrrad während des Überholvorgangs plötzlich nach links, gerät unter den Lkw und stirbt. Er hatte 1,96 Promille Alkohol im Blut.


Entscheidung


T könnte sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 strafbar gemacht haben. Indem er zu nah an dem Radfahrer vorbeifuhr, verstieß er objektiv gegen die gebotene Sorgfalt. Allerdings ist fraglich, ob sich dieser Verstoß auch im tatbestandsmäßigen Erfolg niedergeschlagen hat. O könnte nämlich auch wegen seiner hohen Alkoholisierung unter den Lkw geraten sein.


Der BGH stellt zunächst fest, dass eine Strafbarkeit ausscheide, wenn sicher feststehe, dass der Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters eingetreten wäre. Jedoch könne eine solche Folgerung fast nie sicher getroffen werden. In den Zweifelsfällen sei für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Handlung und Erfolg daher keine unumstößliche Gewissheit erforderlich. Vielmehr genüge es, wenn der Erfolg auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Täters mit hoher Wahrscheinlichkeit eingetreten wäre (s. das entsprechende Problemfeld). In einem solchen Fall sei die Ursächlichkeit der Handlung zu verneinen (die Literatur diskutiert das unter dem Punkt der objektiven Zurechnung und verneint die Gefahrrealisierung). Dies gebiete der Grundsatz in dubio pro reo: bei Zweifeln an der Verantwortlichkeit des Angeklagten müsse zu seinen Gunsten entschieden werden.


Wenn T den Seitenabstand zu O eingehalten hatte, wäre O im vorliegenden Fall dennoch aufgrund seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit verunglückt. Damit hat T sich nicht wegen fahrlässiger Tötung strafbar gemacht.















Die Seite wurde zuletzt am 16.4.2023 um 12.14 Uhr bearbeitet.



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