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HIV-Fall – BGHSt 36, 1







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Eventualvorsatz; dolus eventualis; bewusste Fahrlässigkeit; Billigen; Abfinden; Wissenselement; Wollenselement; Gesundheitsschädigung; lebensgefährdende Behandlung


Sachverhalt


A ist mit HIV infiziert. Sein Arzt hat ihn mehrfach darauf hingewiesen, dass sich der Aids-Erreger insbesondere im Sperma befinde und er daher keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr haben dürfe, um andere nicht anzustecken. A vollzog dennoch mit mehreren Personen Geschlechtsverkehr ohne ein Kondom zu verwenden und ohne sie über seine Infektion aufzuklären. Dass einer seiner Geschlechtspartner infiziert wurde, konnte nicht festgestellt werden.


Entscheidung


A könnte sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 5, 22 strafbar gemacht haben. Dazu müsste er Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale gehabt haben. Die Übertragung einer nicht ganz unerheblichen Krankheit, wie hier des HI-Virus, führt zu einem vom Normalzustand der körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustand und ist damit eine Gesundheitsschädigung i.S.d. § 223 I. A müsste den Eintritt dieser Gesundheitsschädigung zumindest als möglich erkannt und gebilligt haben (dolus eventualis). Demgegenüber hätte er nur bewusst fahrlässig gehandelt, wenn er den Erfolg zwar als möglich erkannt, aber ernsthaft auf dessen Ausbleiben vertraut hätte. Der BGH führt aus, dass ein Billigen auch dann in Betracht komme, wenn dem Täter der Erfolg unerwünscht sei. Es genüge schon, wenn der Täter sich mit dem Erfolg abfinde. Auch stehe die Behauptung des Täters, er habe gehofft, es werde nichts passieren, einem Billigen nicht entgegen, wenn er eine Gefahr in Gang setzt, bei der es dem Zufall überlassen bleibt, ob sie sich im weiteren Verlauf realisiert.


A wurde umfassend über die Ansteckungsgefahr aufgeklärt, er wusste daher um die Möglichkeit des Erfolgseintritts. Die Intensität dieses vorhandenen Wissens stellt nach dem BGH einen Hinweis für das Wollenselement dar. Auch die übrigen Aussagen im Prozess sprachen dafür, dass A die Ansteckung weiterer Personen gleichgültig war. Daher billigte A mögliche Gesundheitsschädigungen.


Für eine lebensgefährdende Behandlung nach § 224 I Nr. 5 genügt nach der Rechtsprechung des BGH eine abstrakte Gefahr. Subjektiv muss der Täter die Umstände kennen, aus denen sich die Gefahr ergibt. Die Infektion mit dem HI-Virus führt regelmäßig zu einem tödlichen Ausgang (zumindest zum Zeitpunkt dieses Urteils, nämlich 1988). A war über dieses Risiko aufgeklärt. Mithin hatte er auch Vorsatz bzgl. einer gefährlichen Körperverletzung.


A hat auch zur Tat unmittelbar angesetzt. Damit hat er sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung strafbar gemacht.















Die Seite wurde zuletzt am 16.4.2023 um 12.14 Uhr bearbeitet.



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