04.06.2021


Von Impfdränglern und Passfälschern

Die Impfstoffe gegen das Corona-Virus sind trotz der bereits sichtbaren Impffortschritte heiß begehrt. Eine vollständige Aufhebung der Priorisierung ist zwar in Sicht, aber die Impftermine sind weiterhin knapp. Gleichzeitig wird mit dem zunehmenden Wegfall der Corona-Restriktionen für Geimpfte die Verlockung immer größer, über die Spritze einen Teil der in der Pandemie aufgegebenen Freiheit zurückzugewinnen.

Ein derartiges Auseinanderklaffen von gesellschaftlich anerkannten Zielen und den zur Verfügung stehenden Mitteln führt zu abweichendem Verhalten. Das propagiert nicht nur die Anomietheorie nach Robert K. Merton, sondern zeigt sich auch in Pandemiezeiten. Gibt es nicht ausreichend legale Wege, um einen Rückgewinn von Freiheit zu erreichen, dann wird eben „getrickst“. Und so lesen wir in den vergangenen Wochen in der Presse vermehrt von Impfdränglern, Impfpassfälschern und dem richtigen Umgang mit diesen Personengruppen.

Zunächst zu erstgenannter Gruppe, die bereits seit längerer Zeit die Schlagzeilen beherrscht. Man kann durchaus über die moralische Bewertung des Erschleichens eines vorzeitigen Impftermins entgegen der (noch) vorgeschriebenen Priorisierung streiten. Solange es andere Interessent*innen für den Impfstoff gibt und es damit zu einem Verteilungsproblem kommt, gebietet es die staatliche Verpflichtung zum Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger, auf die Einhaltung einer festgelegten Priorisierung zu pochen, soweit diese aus medizinischer Sicht indiziert ist.

Die Frage ist jedoch, mit welchen Mitteln dies geschieht. Wie üblich, wenn ein neues gesellschaftliches Problem ausgemacht wird, ist der Ruf nach dem Strafrecht nicht weit. Die Vorsitzende des deutschen Ethikrates, Alena Buyx, regte bereits im Februar an, über Sanktionen nachzudenken, und auch der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wollte Strafen für „Impfdrängler“ von seinem Ministerium zumindest prüfen lassen. Die Journalistin Carolin Nieder-Entgelmeier von der „Neuen Westfälischen“ bezeichnete das Erschleichen eines Impftermins gar als „niederträchtiges“ Verhalten, das nach strengen Sanktionen verlange.

https://strafrecht-online.org/nw-impfdraengler

Aber wie sollte ein Straftatbestand gegen Impfdrängelei aussehen und welches Rechtsgut würde durch diesen geschützt? Die Rede vom „Erschleichen“ eines Impftermins legt es zunächst nahe, den Tatbestand des Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) um eine zusätzliche Alternative des Erschleichens von Gesundheitsleistungen zu erweitern. Damit würden jedoch weitere Brüche im ohnehin zunehmend inkonsistenten System der Vermögensdelikte in Kauf genommen. Denn mit einem Vermögensschutz hätte eine Tatbestandsausgestaltung nichts zu tun, die die Inanspruchnahme einer Gesundheitsleistung ausreichen ließe, auf die nach der Impfverordnung des Bundes derzeit noch kein Anspruch besteht. Die Impfung wird kostenlos zur Verfügung gestellt. Wird also eine Impfdosis an Person A anstelle von Person B verimpft, ändert das an der Vermögenslage der öffentlichen Hand nichts. Vielmehr ist den staatlichen Stellen, die die Impfung zur Verfügung stellen, bekannt, dass sie – unabhängig davon, wen sie vor sich haben – kein Entgelt für die Leistung erhalten. Die Reihung spielt daher für das Rechtsgut des Vermögens keine Rolle.

Denkbar wäre allenfalls die Kriminalisierung der Impfdrängelei aufgrund der damit einhergehenden Umgehung der Priorisierung öffentlicher Gesundheitsleistungen. Die staatliche Dispositionsfreiheit über das Impfstoffkontingent wäre damit Schutzgut eines solchen Tatbestands. Erstens muss jedoch bezweifelt werden, ob es allein dieser Zweck rechtfertigt, das Verhalten mit Kriminalstrafe zu bedrohen. Zweitens wäre die Erforderlichkeit eines solchen Straftatbestands höchst fraglich. So wäre es den staatlichen Stellen durchaus möglich, das Vergabeverfahren so zu organisieren, dass ein Vordrängeln jedenfalls erheblich erschwert würde. Verzichtet man aber aus Gründen der Entbürokratisierung auf den Einbau entsprechender Sicherungen, so darf dies nicht zulasten derjenigen gehen, die lediglich ihren Anspruch auf Teilhabe am öffentlichen Gesundheitswesen geltend machen.

Zur zweiten Personengruppe: Auch die Impfpassfälscher scheinen ein aktuelles Problem darzustellen, das Kriminalpolitiker*innen umtreibt. So forderte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann vorletzte Woche, die Strafen für das Fälschen von Impfpässen müssten deutlich erhöht werden. Hier bestehe „dringender Handlungsbedarf, um eine Bestrafung der Täter zu ermöglichen, welche dem verwirklichten Unrecht und den drohenden Gefahren angemessen ist.“

https://strafrecht-online.org/pm-jumi-hessen

Werfen wir zunächst einen Blick auf die aktuelle Gesetzeslage: Das Fälschen von Urkunden ist nach § 267 StGB strafbar. Hiernach ist eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vorgesehen. Handelt es sich bei der Urkunde jedoch um ein Gesundheitszeugnis – wie etwa einen Impfpass –, und wird dieses zum Zweck der Täuschung bei behördlichen Kontrollen gefälscht, so greift mit § 277 StGB („Fälschung von Gesundheitszeugnissen“) eine Privilegierung. Die Strafe für das Fälschen des Impfpasses in Täuschungsabsicht ist lediglich ein Jahr Freiheitsstrafe im Höchstmaß.

Ein sachlicher Grund für diese Privilegierung ist in der Tat nur schwer zu finden. Eine Gleichstellung von Gesundheitszeugnissen mit anderen Urkunden wäre wohl ohne Probleme realisierbar und einer Entschlackung des StGB obendrein zuträglich. Ob es allerdings auch notwendig ist, den Strafrahmen angesichts des neuen Phänomens der Impfpassfälschung zu erweitern, sei bezweifelt. Die mit der Schärfung von Strafrahmen häufig bezweckte abschreckende Wirkung lässt sich empirisch nicht bestätigen. Die durch die Schaffung von neuen Straftatbeständen erhoffte symbolische Wirkung bleibt dann aus, wenn die Schärfung des Strafrahmens lediglich über das Streichen einer Privilegierung erreicht wird. Denn die Fälschung von Gesundheitszeugnissen würde dann nicht einmal mehr ausdrücklich im StGB genannt werden.

Die Debatte um die Kriminalisierung von Impfdränglern und Passfälschern sollte daher eine Mahnung sein, nicht bei jedem neuen gesellschaftlichen Problem, das zum Modethema wird, sogleich das Strafrecht zu bemühen. Gerade Pandemiezeiten verlangen danach, nicht in blinden Aktionismus zu verfallen, sondern sich in Geduld zu üben – auch seitens der Kriminalpolitik. Und so bleibt zu hoffen, dass sich die vermeintlichen Probleme des Vordrängelns und Passfälschens in wenigen Wochen erledigt haben.