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Gefährlich, strafbar, erlaubt? Das Filmen polizeilicher Maßnahmen
Die übermäßige Vorliebe der Polizei für Videoaufnahmen haben wir am Beispiel von Aufnahmen von singenden Fußballfans und „Fridays-for-future“- Demonstrationen aus der Drohnenperspektive bereits im letzten Newsletter thematisiert.
https://strafrecht-online.org/news-im-visier
Das Filmen von Polizeieinsätzen durch Bürgerinnen und Bürger stößt hingegen auf wenig Gegenliebe bei der Polizei. Häufig werden Handys von Filmenden umgehend beschlagnahmt, wobei sich die Polizei bei der rechtlichen Begründung dieser Maßnahme durchaus kreativ zeigt.
In der Vergangenheit wurde eine Beschlagnahme zunächst pauschal mit der drohenden Gefahr einer späteren Veröffentlichung der Aufnahmen entgegen § 33 i.V.m. §§ 22, 23 KunstUrhG begründet. Danach macht sich strafbar, wer ohne die Einwilligung des Abgebildeten ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Strafbare Handlung ist also nicht die Aufnahme an sich, sondern die spätere Veröffentlichung.
Für die Annahme einer konkreten Veröffentlichungsgefahr bedarf es jedoch hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte, wie das Bundesverfassungsgericht noch einmal unterstreichen musste.
https://strafrecht-online.org/bverfg-24-07-2015
Solange diese Anhaltspunkte durch die Polizei im Einzelfall nicht konkret dargelegt werden, kann eine Beschlagnahme also nicht auf die Gefahr einer späteren Veröffentlichung gestützt werden.
In der Folge wendete sich die Polizei von dieser Begründung einer präventiven Beschlagnahme ab und wechselte in Kooperation mit den Staatsanwaltschaften in den Bereich der Strafverfolgung, der zuvor in diesem Kontext keine Rolle gespielt hatte.
Nunmehr werden die Beschlagnahmen mit dem Anfangsverdacht einer Straftat gem. § 201 I Nr. 1 StGB begründet. Gem. § 201 I Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt.
Schutzgut des § 201 StGB ist als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 i.V.m. Art. 1 I GG) das Recht auf eine Vertrauenssphäre des Menschen, in der die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation gesichert werden soll.
Dabei spielt es der Polizei zunächst einmal in die Karten, dass das bloße Filmen eines Polizeieinsatzes ohne Aufnahme einer Tonspur zwar offensichtlich nicht unter den Tatbestand fällt, herkömmliche Smartphones indes regelmäßig nicht über die Möglichkeit einer solchen rein visuellen Aufnahme verfügen.
Aber auch die Annahme eines Anfangsverdachts für eine Straftat gem. § 201 I Nr. 1 StGB bei audiovisuellen Aufnahmen eines Polizeieinsatzes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Insoweit erscheint insbesondere fraglich, ob Äußerungen von Polizeibediensteten im Rahmen von polizeilichen Maßnahmen „nichtöffentlich“ im Sinne von § 201 StGB erfolgen.
Das gesprochene Wort wird als nichtöffentlich angesehen, wenn es nach dem Willen des Sprechers nicht an einen nach Zahl und Individualität unbestimmten oder durch persönliche Beziehungen innerlich unverbundenen größeren bestimmten Kreis von Personen gerichtet und auch objektiv für einen solchen Kreis nicht im Sinne verstehenden Mithörens wahrnehmbar ist (Lackner/Kühl StGB § 201 Rn. 2). Hingegen ist bei Bestehen einer „faktischen Öffentlichkeit“ bereits keine Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes mehr anzunehmen.
Das Landgericht Osnabrück hat hierzu kürzlich ausgeführt, für die Bestimmung einer faktischen Öffentlichkeit sei nicht auf eine tatsächliche Wahrnehmung des gesprochenen Wortes durch Dritte abzustellen, sondern darauf, ob beliebige andere Personen von frei zugänglichen öffentlichen Flächen oder allgemein zugänglichen Gebäuden und Räumen – mithin eine beliebige Öffentlichkeit – die Diensthandlungen hätten beobachten und akustisch wie optisch wahrnehmen können.
https://strafrecht-online.org/lg-osnabrueck-24-09-2021
Im Regelfall ist danach das Bestehen einer faktischen Öffentlichkeit bei polizeilichen Maßnahmen im öffentlichen Raum anzunehmen, sodass Videoaufnahmen mit Tonspur hiervon bereits nicht unter den Tatbestand des § 201 StGB fallen. Auf eine mögliche Rechtfertigung solcher Aufnahmen gem. § 34 StGB im Kontext von strafbaren Handlungen durch Polizeibedienstete (etwa § 340 StGB) kommt es danach nicht mehr an.
Diese enge Auslegung des § 201 I Nr. 1 StGB überzeugt aus Gründen der Rechtssicherheit, da es sonst auf den Zufall ankäme, ob und gegebenenfalls wie viele andere Menschen die Äußerungen der Polizeibediensteten tatsächlich wahrgenommen haben. Die Äußerungen von Polizeibediensteten im Rahmen von Standardmaßnahmen sind zudem oft formalisiert, was ebenfalls dagegen spricht, sie in den Schutzbereich einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 StGB miteinzubeziehen. So argumentiert auch das LG Osnabrück, ein Amtsträger, dessen Handeln rechtlich gebunden und rechtlich überprüfbar sei, bedürfe keines Schutzes der Unbefangenheit seiner Kommunikation.
Neben dem LG Osnabrück hatte bereits das LG Kassel in jüngerer Vergangenheit die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme eines Handys wegen des Bestehens einer faktischen Öffentlichkeit verneint. Dabei betonte es zudem, im Rahmen einer Personenkontrolle seien lediglich die Angaben der betroffenen Person schützenswert, wobei diesbezüglich regelmäßig je nach vertretener Ansicht eine tatbestandsausschließende oder rechtfertigende (ggf. mutmaßliche) Einwilligung vorliegen dürfte.
https://strafrecht-online.org/lg-kassel-23-09-2019
Es wäre daher zu begrüßen, wenn sich diese Rechtsprechungslinie weiter durchsetzt und eine Beschlagnahme von Handys mit Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen im Regelfall nicht mehr auf einen Anfangsverdacht bzgl. § 201 I Nr. 1 StGB gestützt werden kann.
Da die Polizei aber offenkundig stets bemüht nach einem rechtlichen Hebel sucht, um solche Aufnahmen zu verhindern, ist wohl damit zu rechnen, dass diese fragwürdige Praxis zumindest bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung weiter fortgesetzt wird.