05.07.2023


Alles ist möglich

Warum nur kommen uns bei der Entscheidung des OLG Stuttgart, die Anklage gegen einen von uns geschätzten Redakteur von Radio Dreyeckland nun doch zuzulassen, die Zombies in den Sinn? Nur scheinbar verstorbene und wieder zum Leben erweckte Wesen, die nunmehr ähnlich einem Untoten oder Wiedergänger willenlos und ihrer Seele beraubt umherwandern.

Wir haben von diesen natürlich über Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ gehört. Aber gibt es sie denn wirklich, fragen wir uns grüblerisch.

„Alles ist möglich“, wird vermutlich das OLG Stuttgart bekunden, man solle sich ja nicht zu sicher sein, außerdem hätte die verbotene Vereinigung ja in Gestalt einer Website Spuren hinterlassen und lebe daher noch.

Womit wir beim Problem wären. Es geht um den hinreichenden Verdacht einer Straftat nach § 85 StGB („Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot“). Die Norm wird nicht zu Unrecht als Ungehorsamsdelikt tituliert, weil sie mit dem Strafrecht eben auf Verstöße gegen ein Verbot reagiert. Wenn wir uns einmal ganz altmodisch die Frage stellen, welches Rechtsgut über dieses eigenartige Delikt geschützt wird, der Gehorsam könne es ja wohl nicht sein, müssen wir sehr grundsätzlich werden. Und wir landen vermutlich bei solch großen Begriffen wie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der verfassungsmäßigen Ordnung.

Und diese elementaren Rechtsgüter stehen tatsächlich auf dem Spiel? Alles ist möglich! Insbesondere offensichtlich auch, dass die verbotene Vereinigung nach wie vor jedenfalls als Zombie existiert. Wobei wir ein wenig mit diesem Bild aufpassen müssen. Denn es wäre schon erforderlich, dass es sich um exakt die verbotene Vereinigung handelt, die nunmehr umhergeistert.

https://strafrecht-online.org/nl-2023-01-27 [II.]

Während das LG Karlsruhe bei seinen Nichteröffnungsbeschluss diese Voraussetzung der nach wie vor existierenden Vereinigung ebenso präzise herausgearbeitet wie deren tatsächliches Nichtvorliegen begründet hat, geht hier das OLG weit kraftvoller und sorgloser vor: Es gebe doch eine Website, sei das nicht Beweis genug?

https://strafrecht-online.org/olg-rdl

Hierin wird ein grundlegendes Missverständnis offenbar, dass bereits im Verbotsverfahren selbst virulent wurde.

https://strafrecht-online.org/nl-2020-11-27 [II.]

Es geht nicht um das Verbot einer Website, wie wichtig sie auch immer in unserer digitalen Welt sein mag, es geht um das Verbot einer Vereinigung, die sich ggf. einer Website bedient. Und hier ist eben seitens des OLG Stuttgart nicht dargetan worden, dass die Wahrscheinlichkeit der Fortexistenz der verbotenen Vereinigung besteht. Wird eine statische Website online gestellt, auf der auch die Möglichkeit verankert war zu spenden, ist es wesentlich plausibler, dass es sich um ein zeithistorisches Dokument handelt, das natürlich zu aktuellen Diskussionen Anlass geben kann, als dass dieser Vorgang für die Fortexistenz einer Vereinigung spricht. Denn nichts ist verderblicher für eine aktive Organisation als eine nicht aktuelle (statische) Website.

Es ist natürlich auch strafprozessual nicht zulässig, einfach einmal nach dem erwähnten Motto „Alles ist möglich“ beim hinreichenden Tatverdacht fünfe gerade sein zu lassen und auf die Möglichkeit der Klärung im Hauptverfahren zu setzen.

Was das Unterstützen als zweite Komponente des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot anbelangt, macht es sich das OLG Stuttgart ein weiteres Mal zu einfach. Hat es wirklich keinerlei Sorgen, von den nachfolgenden Instanzen zerlegt zu werden? Diese tatbestandliche Voraussetzung ist natürlich im Lichte der überragenden Bedeutung des Grundrechts der Pressefreiheit zu interpretieren. Der Verweis darauf, § 85 StGB sei als allgemeines Gesetz zu beachten, geht in fataler Weise in die Irre. Es ist doch gerade erst zu untersuchen, ob § 85 StGB einschlägig sein könnte! Mit dem Hinweis auf die Existenz des Straftatbestandes die Pressefreiheit zu beschneiden, ist methodisch nicht haltbar. So hat David Werdermann ausgeführt, dass mit einer derartigen Scheinargumentation jegliche kritische Berichterstattung über ein Vereinigungsverbot unmöglich würde.

https://strafrecht-online.org/rdl-olg

https://strafrecht-online.org/rdl-kritik

Ganz davon abgesehen haben wir bereits ausgeführt, dass Fabian Kienert schon weit kämpferischer als in seinem den Stein des Anstoßes bildenden Beitrag unterwegs war und die ohnehin aus guten Gründen sehr weiten Grenzen der Pressefreiheit nicht einmal im Ansatz ausgereizt erscheinen.

Aber Moment mal. Müssen wir uns nicht dann auch Sorgen machen, wenn wir wiederum kritisch über das Verfahren und die Argumentationsweise des OLG berichten und die statische Website verlinken?

So weit geht es dann nicht, versichert uns das OLG Stuttgart, sofern man denn sachlich bleibe. Oh je, das ist nun nicht gerade unsere Kernkompetenz.

Eine Frage haben wir dann aber doch noch: Wäre es nicht möglich, hierüber einfach auch ganz Banales in vielleicht fünf Minuten zu schreiben, damit man sich anschließend wieder dem bösen Wolf widmen kann? Aber natürlich, alles ist möglich, das wiederum ist die Domäne der Badischen Zeitung und wird zur Sicherheit hinter einer Bezahlwand versteckt.

https://strafrecht-online.org/bz-olg-rdl [kostenloser Probemonat]


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