DER ARTIKEL
Vernünftiger Richter, unvernünftige Gesetzeslage
Den Newsletter-Lesenden sind die Schlagwörter „Karlsruher Fanprojekt“ und „Zeugnisverweigerungsrecht“ bereits bestens bekannt. Schließlich thematisierten wir den Fall der drei Karlsruher Fanprojektmitarbeitenden bereits mehrfach in diesem Rahmen. Sie hatten sich nach einer aus dem Ruder gelaufenen Geburtstags-Choreographie von KSC-Fans nicht näher gegenüber der Polizei äußern wollen, um das über Jahre erarbeitete und für ihre Arbeit als Sozialarbeitende essenzielle Vertrauensverhältnis zur Fanszene nicht zu zerstören. Die Folge: Der Vorwurf der (versuchten) Strafvereitelung durch Unterlassen stand plötzlich im Raum.
https://strafrecht-online.org/fanprojekt
https://strafrecht-online.org/schweigen-preis
Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Tacheles“ hatte im Juni 2024 der Freiburger Fanprojektleiter Benjamin Munkert eindrucksvoll die dem Fall zugrunde liegende Kernproblematik geschildert. Sozialarbeitende verfügen im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen, deren Arbeit gleichfalls maßgeblich auf einem Vertrauensverhältnis zu ihren Klient:innen beruht, über kein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 StPO.
https://strafrecht-online.org/nl-2024-06-14 [V.]
Nach über drei Jahren hat der Strafverfolgungs-Marathon gegen die Karlsruher Fanprojektmitarbeitenden Mitte Oktober nun schließlich mit einer halben Wende sein Ende gefunden. So wurde das Berufungsverfahren gegen das erstinstanzliche Urteil des AG Karlsruhe, in dem die drei Mitarbeitenden noch zu nicht unerheblichen Geldstrafen von jeweils 90 Tagessätzen verurteilt worden waren, nun gem. § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage zwischen 1.500 und 3.150 Euro eingestellt.
Der Vorsitzende Richter Peter Stier hegte Zweifel daran, dass das Schweigen der Fanprojektmitarbeitenden die Ermittlungen gegen KSC-Fans angesichts von zahlreichen Hausdurchsuchungen und ausgewerteten Chatverläufen überhaupt faktisch behindert hatte oder auch nur sollte. Wir wiederum fragen uns mit einer gewichtigen Ansicht in der Literatur darüber hinaus, ob Zeug:innen aufgrund ihrer prozessualen Stellung die für ein Unterlassungsdelikt erforderliche Garantenstellung im Hinblick auf das von § 258 Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgut zukommt.
Zum anderen könne – so Stier – vom Ausgang des Prozesses in Gestalt einer einvernehmlichen Lösung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Fanprojektmitarbeitenden eine Signalwirkung für die Soziale Arbeit in ganz Deutschland ausgehen, auch wenn die Rechtslage so unbefriedigend wie aktuell bleibe.
Dass sich eben jene Rechtslage in dieser Legislaturperiode noch ändert, scheint in der Tat nahezu ausgeschlossen. So bekräftigte die neue Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Helge Limburg im August dieses Jahres ihre Ablehnung im Hinblick auf eine diesbezügliche Reform der Strafprozessordnung.
https://strafrecht-online.org/antwort-kleine-anfrage [S. 69]
Die zuständige Parlamentarische Staatssekretärin Anette Kramme hob in ihrer knappen Antwort zwar das „besondere Vertrauensverhältnis“ zwischen Fanprojektmitarbeitenden und Fans hervor, lehnte eine Reform jedoch anschließend mit einem richtigerweise heute gerade zu hinterfragenden Verweis auf einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 1972 ab. Nicht anders war es einer kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Jahr 2023 ergangen.
https://strafrecht-online.org/gutachten-zvr [S. 39 ff.]
Der schwache Trost: Auch das LG Karlsruhe erachtet die derzeitige Gesetzeslage als unbefriedigend. Und für die drei Angeklagten ist das Strafverfahren nicht mit einer Geldstrafe, sondern einer Einstellung unter Wahrung der Unschuldsvermutung zu einem Abschluss gekommen.
Entgegen dem Vorsitzenden Richter hegen wir aber Zweifel, wie von einer solchen Erledigung tatsächlich eine beruhigende Signalwirkung auf die durch den Strafverfolgungsmarathon nachhaltig verunsicherten Fanprojekte ausgehen könnte. Bleibt nicht das Damoklesschwert allgegenwärtig, einmal nicht auf ein vernünftiges Gericht zu treffen? Wie kann sich unter diesen Vorzeichen die Soziale Arbeit in diesem durchaus gesellschaftsrelevanten Bereich vertrauensvoll entwickeln? Es bleibt dabei: Ohne ein zeitgemäßes Zeugnisverweigerungsrecht für die Soziale Arbeit wird es nicht gehen.
Der Fokus ist derzeit indes ein diametral anderer, wie sich gerade auch an anderer Stelle im Kontext des Fußballs zeigt. So plant die Innenministerkonferenz der Länder, Anfang Dezember weitreichende Verschärfungen der Regelungen zum Besuch von Fußballstadien zu beschließen. Zu diesen gehören die flächendeckende Einführung von personalisierten Tickets, die Einführung von KI-gestützten Gesichtsscannern an den Stadioneingängen sowie die Schaffung einer zentralen Stadionverbotskommission.
Derzeit werden Stadionverbote dezentral von den einzelnen Vereinen verhängt, nachdem diese intern von einer lokalen Kommission geprüft wurden. Zudem kursiert der Vorschlag, die Stadionverbotsrichtlinie des DFB dahingehend abzuändern, dass Stadionverbote zukünftig zwingend verhängt werden sollen, sobald ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gegen die betreffende Person eingeleitet wurde. Dieser Vorschlag und die ihm zugrunde liegende Wertung stehen in einem klaren Widerspruch zu der in einem Strafprozess geltenden Unschuldsvermutung.
Das eigentlich Bizarre ist jedoch, dass die vorgeschlagenen Verschärfungen aus der Politik gegen den erklärten Willen der Verbände DFB/DFL und ohne jegliche empirische Absicherung beschlossen werden sollen. So bilanziert die polizeieigene Statistik der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) für die Saison 2024/2025 in den ersten drei deutschen Fußball-Ligen im Vergleich zur Vorsaison einen deutlichen Rückgang von eingeleiteten Verfahren (- 24 %) und Verletzten (- 17 %), obwohl knapp eine Million mehr Menschen in die Stadien kamen.
https://strafrecht-online.org/gutachten-zis-jahresbericht
Auch das medial immer wieder breit aufgegriffene Thema des Einsatzes von Pyrotechnik liefert bei näherer Betrachtung keinen tragfähigen Grund für die geplanten Verschärfungen. So ging die Anzahl an Verletzten durch Pyrotechnik von 114 in der Vorsaison auf 95 Verletzte in der abgelaufenen Saison zurück, obwohl insgesamt deutlich mehr verwendete pyrotechnische Gegenstände registriert wurden. Jede verletzte Person ist natürlich eine zu viel. Führt man sich jedoch die Gesamtzahl von über 25 Mio. Stadionbesuchenden vor Augen, betrug die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Stadions durch Pyrotechnik verletzt zu werden, in der vergangenen Saison lediglich 0,0004 %. Es gibt weit größere Risiken in unserer Gesellschaft.
Wir setzen darauf, dass die geplanten Verschärfungen der Innenministerkonferenz unter dem Eindruck der Zahlen der polizeieigenen Statistik und einer friedlichen gemeinsamen Großdemonstration von etwa 20.000 Fußballfans aus ganz Deutschland in Leipzig am vergangenen Wochenende doch nicht Realität werden.
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