26.07.2022


Fürchtet euch (nicht): Die Messerverbotszone kommt!

Die im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU für Baden-Württemberg vorgesehene, vom Landesinnenministerium inzwischen ausgearbeitete und vom Stuttgarter Oberbürgermeister und der Gemeinderatsmehrheit herbeigesehnte „niederschwellige gesetzliche Möglichkeit für kommunale Waffenverbotszonen“ kommt.

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Nach dem Abschluss der Sicherheitspartnerschaft mit dem Land und einer damit einhergehenden Massierung der Polizeipräsenz sowie der Einführung der Videoüberwachung in der Stuttgarter Innenstadt wird nun also bald der vermeintlich nächste Trumpf aus dem Kartenstapel der Kriminalprävention gezogen.

Ein Blick ins Waffengesetz zeigt uns dabei, worum es geht. So besteht nach § 42 Abs. 5 WaffG für die Landesregierung zunächst die Möglichkeit, das Führen von Waffen an öffentlichen Orten zu verbieten, wo es wiederholt zu Straftaten unter Einsatz von Waffen (Nr. 1) oder Rohheitsdelikten wie Raub und Körperverletzungen (Nr. 2) gekommen ist und vermutlich auch weiterhin kommen wird.

Seit 2020 eröffnet § 42 Abs. 6 WaffG zudem die Option, das Führen von Waffen und Messern mit einer Klingenlänge von über 4 cm an bestimmten, stark frequentierten Orten zu verbieten. Erforderlich ist hierfür lediglich der Nachweis, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, das Verbot sei zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit erforderlich. Auf hinreichend valide Lageeinschätzungen zur Kriminalitätsbelastung, wie man sie von „gefährlichen Orten“ kennt und die auch für Verbotszonen nach Abs. 5 benötigt würden, kann damit weitestgehend verzichtet werden.

Ausgespielt wurde die Karte des § 42 Abs. 5 WaffG beispielsweise bereits 2018 in Leipzig entlang der Eisenbahnstraße. Mit mäßigem Erfolg, wie eine inzwischen durch das soziologische Institut der Universität Leipzig im Auftrag des sächsischen Innenministeriums durchgeführte Evaluation zu Tage förderte. Und so soll mit diesem Projekt bald wieder Schluss sein.

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Wir gehören nun definitiv nicht zu denjenigen, die das Tragen von Waffen als ureigensten Ausdruck der Freiheit einer Person oder gar Teil ihrer Identität interpretieren. Und wir sind nicht bereit, Verbotszonen mit dem abwegigen Argument madig zu machen, wie solle man sich unter diesen Bedingungen noch ein Küchenmesser zulegen. Sie kauft man im Internet, wenn man nicht zur Generation 50 + (und damit RH) gehört.

Umgekehrt scheint uns aber auch die umfängliche Leipziger Evaluation von ihrer Methodik her nicht ohne jeden Zweifel gegen eine Waffenverbotszone zu sprechen, die sich der Komponenten Kriminalitätsaufkommen, Sicherheitsempfinden und Akzeptanz der Waffenverbotszone annahm.

https://strafrecht-online.org/leipzig-evaluation

So vertreten wir die These, dass sich das Sicherheitsempfinden aus ganz anderen Quellen als dem Ausmaß der Kriminalität speist, nämlich beispielsweise sozialen und wirtschaftlichen Sorgen. Daher wundert uns auch nicht, dass die Befragungen insoweit keine Änderungen ergaben. Die Akzeptanz einer Verbotszone wiederum erscheint uns vielleicht soziologisch interessant, aber jedenfalls kein Argument für oder gegen eine Freiheitseinschränkung zu sein.

Interessiert haben wir aber zur Kenntnis genommen, dass insbesondere für die sog. „Rohheitsdelikte“ zwischen 2018 und 2020 innerhalb und außerhalb der Leipziger Waffenverbotszone ein stetiges Auf und Ab des Deliktsaufkommens auszumachen ist. Fehlanzeige also für einen klaren rückläufigen Trend.

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Wenn wir uns nun zusätzlich bewusst machen, dass man mitgeführte Waffen in aller Regel nicht offen zur Schau stellt und in einer Messer- bzw. Waffenverbotszone verdachtsunabhängige Kontrollen nicht per se, sondern nur bei kumulativem Vorliegen eines sog. gefährlichen Ortes möglich sind – anders sieht es in Sachsen für die Waffenverbotszonen aus –, gehen uns bei aller waffenskeptischen Einstellung ein wenig die Argumente aus.

Es wird ein Verbot geschaffen, das nicht zu kontrollieren ist. Empirische Erkenntnisse darüber, dass die Verbotszone die Kriminalität senkt, gibt es nicht. Es wird ein weiteres Mal ein gefährlicher Raum konstruiert und als solcher gelabelt, wobei es ein Gemeinplatz ist, dass ein Raum nicht gefährlich sein kann. Sofern die Polizei doch Verdachtsmomente ausmachen und eine Kontrolle durchführen würde, bestünde ein Eskalationsrisiko. Immer dann, wenn die Waffen- oder Messerverbotszone mit der Möglichkeit einer anlasslosen Kontrolle einherginge, würde sich das Risiko ungleicher Zuschreibungen weiter erhöhen.

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Der vermeintliche Trumpf aus dem Kartenstapel der Kriminalprävention hat sich somit als lausiger Taschenspielertrick erwiesen. In Sachsen ist er in diesem Stapel somit vorerst wieder verschwunden. Wir gehen sicher davon aus, dass es sich Baden-Württemberg nicht nehmen lässt, es noch einmal mit dieser Karte zu versuchen. Ist allemal einfacher als sich den sozialen Bedingungen konfliktbereiter junger Menschen und der Suche nach den Ursachen zuzuwenden.

https://strafrecht-online.org/linke-gewaltpraevention