28.06.2023


Weil sich mehr als etwas ändern muss

„Aufstehen, anziehen, kotzen.“ So beginnt ein ZEIT-Campus-Beitrag zum Jurastudium, das, seit 150 Jahren von seiner Grundstruktur wenig verändert, aus Studierenden Zombies macht. Die Dramaturgie des alles entscheidenden Staatsexamens nach etlichen Jahren menschenverachtender und aufgrund der stetig wachsenden Stofffülle immer schlimmer werdender Fron lässt aus den Studierenden psychisch und physisch je nach Resilienz schwer angeschlagene oder auch zerstörte Menschen werden. Wie sie unter diesen Voraussetzungen in ihrem Beruf im Kontakt mit Menschen angemessen, je nach Situation auch einfühlsam, interagieren sollen, bleibt das Geheimnis derer, die für die Prüfungsordnungen verantwortlich zeichnen.

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Wem dieses Lagebild ein wenig zu reißerisch erscheint, sei auf die bislang größte Studie zur Reform der juristischen Ausbildung verwiesen, die auf Ergebnissen einer Abstimmung über 43 Thesen basiert, an der von Januar bis Juni 2022 11.842 Personen teilgenommen haben. Hierunter waren zwar immerhin 5.033 Studierende, die allerdings nur 4 % der Gesamtheit dieser Gruppe ausmachen. Von den Professor:innen beteiligten sich immerhin 18 %.

Das ist durchaus ein relevanter Umstand, weil bei etlichen der Thesen erhebliche Unterschiede zwischen den Studierenden und den professionellen Akteur:innen bestehen. Letztere neigen häufiger dazu, das jetzige System für erhaltungswürdig anzusehen und ja nicht an seinen Grundfesten zu rütteln. Weil sie an den Hebeln der Macht sitzen, stellt sich die Frage nach den Gründen: Haben sie die Belastungen des Studiums verdrängt, schrecken sie vor Veränderungen zurück oder glauben sie ernsthaft, im wohlverstandenen Interesse der Studierenden zu agieren?

Aber wie arbeiten sie denn in ihrem Umfeld? Aus dem Kopf und dem hier auf Ewigkeiten gespeicherten Wissen sämtlicher Rechtsgebiete heraus, ohne jeden Kontakt mit Kolleg:innen, ohne Internet, im fortwährenden Gefühl, am Anschlag zu sein? Ausgeschlossen ist das nicht, aber es wäre ein trostloser und unangemessener, auch weil wenig professioneller Zustand.

Zu den Ergebnissen im Einzelnen sei auf die umfängliche Studie verwiesen.

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Die Thesen lassen sich grob in zwei große Gruppen unterteilen: Solche, die bei gutem Willen und mit teilweise erheblichem Mehraufwand der professionellen Akteur:innen (daher schwierig) unmittelbar angegangen werden könnten, etwa eine unabhängige Zweitkorrektur der schriftlichen Examensprüfungen, diversere Prüfungs- und Unterrichtsformate oder eine Stärkung der universitären Repetitorien. Das kleine Problem hierbei: An den angedeuteten dramatischen Belastungen der Studierenden würde das vergleichsweise wenig ändern.

Dies wäre nur dann der Fall, würde man die dicken Bretter bohren und das Prüfungsszenario im Sinne der Anforderungen an einen zeitgemäßen Beruf aufbrechen. Zu diesen gehört nicht ein kompendienhaftes, flüchtiges Wissen, sondern die Fähigkeit, sich einarbeiten, informieren und das Recherchierte einsetzen zu können. Ein integrierter Bachelor wiederum wäre nur dann eine echte Entlastung, wenn er auch attraktive Berufsfelder eröffnen würde.

Das Argument, das Studium ohne examensrelevante Prüfungen schaffe zu erhaltende Freiräume, erscheint vor dem Hintergrund der geschilderten dramatischen Nebenwirkungen scheinheilig. Gesucht sind solche abschichtenden Zwischenprüfungen, die Studierende nicht in ein Hamsterrad auch des Banalen verfrachten. Schließlich ist die Fokussierung des Staatsexamens auf zwei Wochen aufzubrechen. Auch hier wird mit schiefen Bildern etwa in dem Sinne gearbeitet, man müsse eben auf den Punkt fit sein. In jedem Beruf mag es solche Situationen geben, in denen man besonders gefordert ist, gesucht wird aber noch immer die Person, die zu mehr in der Lage ist, als einmal auf den Mond zu fliegen.

Das Schreckgespenst der fehlenden Vergleichbarkeit sollte in einer modernen, diversifizierten Arbeitswelt keines mehr sein, in der sich Arbeitgeber:innen und Interessierte ohnehin ein ganz individuelles Bild verschaffen müssen, ob ein ertragreiche Zusammenarbeit möglich erscheint.

Der Justiz und den Anwaltskanzleien fehlt es an Nachwuchs. In vielen weiteren Berufsfeldern werden Menschen gesucht, die für einen entlastenden Ausgleich sorgen. Die so titulierten Sofortprogramme würde die Generation Z schnell durchschauen. Es muss sich mehr als etwas ändern.

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