Der Artikel
Zwischen Zuversicht und Zweifeln
Eine Tagung zur digitalen Lehre, die ausschließlich in Präsenz an einer privaten Hochschule stattfindet, bei der sich der Jurafuchs präsentieren kann und die nur ein paar Insider interessiert? Auf geht´s, sagte sich da RH, das klingt hinreichend kurios. Und schon war er nach einem halben Tag in der Bahn in Berlin. Der Auftrag: Seine Erfahrungen aus 20 Jahren E-Learning dem staunenden Publikum präsentieren.
Das gefiel RH in Vorbereitung auf seine Lebensphase des noch einmal zu intensivierenden Nichtstuns: Mit verklärtem Blick auf die letzten Jahrzehnte zurückblicken und darauf verweisen, dass sich nun alles zum Schlechten verändert habe. Der ihm liebevoll auf der Tagung verliehene Ehrentitel „Silberrücken“ trug seinen Teil dazu bei.
Nun, ganz so einfach war es dann doch nicht. Denn zu Beginn des aktuellen Jahrtausends bedeutete ELearning das Online-Stellen von ein paar ppt-Folien, selbstverständlich unter strengstem Passwortschutz.
„Ganz wie heute bei uns noch“, werden sich einige zuraunen. Womit wir gleich bei einem Diskussionsfeld des Symposiums angelangt wären: Welche Relevanz wird das E-Learning auch im Verhältnis zur Präsenzlehre künftig entfalten? Wird es wirklich zu einer kongenialen wechselseitigen Befruchtung kommen oder ist die gute alte Vorlesung nicht in Wahrheit nur eines, nämlich alt?
RH jedenfalls beschrieb auftragsgemäß zunächst einmal die Genese von Jurcoach, einem Projekt, das in Dresden seinen Ausgangspunkt genommen hatte. Er stellte die Grundpfeiler in Gestalt von Multiple-Choice-Test, Problemfeld-Wiki und Falltraining ebenso vor wie die ergänzenden Bausteine des individuellen Profils sowie der integrierten individuellen Korrektur.
https://strafrecht-online.org/jurcoach/
Auch die wissenschaftliche Fundierung und Kontrolle seines kollaborativen Ansatzes war ihm ein besonderes Anliegen, womit ein weiteres Problem ausgemacht wäre: Beliebt sind insbesondere die Angebote wie das Wiki, bei denen man Wissen serviert bekommt, alle Aufforderungen zu einem Mitwirken werden souverän in den Wind geschlagen. In ähnlicher Weise erfreuen sich die allein auf Rezeption setzenden online-Vorlesungen auf YouTube des Gastgebers des Symposiums, Martin Fries, großer Beliebtheit.
https://strafrecht-online.org/projekte/jukol/
https://www.youtube.com/jurapodcast
Aber warum nur, wenn doch die aktuelle Welt des Arbeitslebens ein einziger kollaborativer Vorgang ist und insbesondere auch das Jurastudium nicht gerade den besten Ruf genießt und ein soziales Zusammenwirken Wunder wirken könnte? Zudem gehen erste empirische Erkenntnisse dahin, dass sich eine derartige Mitwirkung auch individuell leistungsfördernd auswirkt. Genau diesen Fragen geht RH derzeit in einem kleinen interdisziplinären Forschungsprojekt mit dem Namen „Schulterschluss statt Ellenbogen“ nach. Vielleicht lautet die schlichte pragmatische Antwort im Argwohn um die leistungsfördernde Wirkung: Examen jetzt, Kollaboration später.
https://strafrecht-online.org/schulterschluss
Das Plaudern aus dem Schatz reichhaltiger Erfahrung war aber nur die Unterschrift. Es sollte um Zuversicht und Zweifel hinsichtlich des E-Learning gehen. Und diese Zweifel oder zumindest Fragen schoben sich im zweiten Teil des Referates dann auch machtvoll in den Vordergrund: Welche Rolle wird beim E-Learning die Kommerzialisierung und damit Geld und Manpower spielen? Wird der Jurafuchs die Studierenden in seinen Bann und diesen das Geld aus der Tasche ziehen? Werden die privaten Hochschulen mit ihren Studiengebühren und Financiers endgültig den staatlichen Hochschulen die Rücklichter zeigen? So leistet sich die Bucerius Law School eigene Stellen und sogar Professuren, die sich den neuen auch didaktischen und technischen Herausforderungen stellen, was RH neidvoll erblassen lässt. Hier wird – jedenfalls auf die universitäre rechtswissenschaftliche Ausbildung bezogen – echte Grundlagenarbeit geleistet.
Und was machen die Hochschulleitungen der staatlichen Hochschulen? Ähnlich wie die Kolleg:innen haben sie nur ein mitleidiges Lächeln für die Bemühungen weniger übrig, denen ambitionierte digitale Lehre ein Anliegen ist.
Zu guter Letzt: Welche Rolle spielen Design und Gamification? Wird KI die Karten vollkommen neu mischen und sollte RH schon mal die Delete-Taste für Jurcoach ansteuern?
Das waren gar viele Fragen und Zweifel. Aber der Kreis der weiteren Referent:innen mit ihren teilweise anderen Ansätzen sowie insbesondere die Beteiligung kommerzieller Anbieter und privater Hochschulen führte dazu, dass RH auf seiner langen Fahrt zurück so einiges in inspirierender Weise durch den Kopf schwirrte. Na gut, bei kicker.de schaute er gelegentlich auch vorbei. Ganz so dramatisch war es dann doch nicht.
Fragen und Anmerkungen: