Der womöglich hohe Preis für ein effizientes Strafbefehlsverfahren

Vortrag und Diskussion am Dienstag, 13 Juni 2024 – 20 Uhr c.t. im HS 1010, KG I

Referentin: Dr. Carolin Weyand

Abstract: Die Zahl der Strafbefehle nimmt stetig zu. Jüngste Zahlen aus Baden-Württemberg zeigen, dass 97 % der Verurteilungen zu einer Geldstrafe über einen Strafbefehl erfolgten. Auch in anderen Bundesländern lassen sich ähnliche Tendenzen beobachten. Für die Justiz bedeutet diese Praxis eine erhebliche Entlastung und wirkt somit ressourcensparend. Strafverteidiger*innen aus Frankfurt hingegen haben die Befürchtung, dass diese Entwicklung vor allem die ärmeren und sozial Schwachen unserer Gesellschaft trifft.

Worum geht es beim Strafbefehlsverfahren? Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann die Amtsrichterin einen Strafbefehl erlassen, wenn sie eine öffentliche Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält. Ein solches Verfahren kommt bei Bagatelldelikten, aber auch bei Fällen mittlerer Kriminalität in Betracht und scheint auf den ersten Blick für alle Beteiligten eine pragmatische Alternative zu einem Urteil nach einer Hauptverhandlung zu sein. Die adressierte Person muss innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen, ansonsten wird der Strafbefehl rechtskräftig.

Indes: Viele Empfänger*innen eines Strafbefehls sind sich der rechtlichen Bedeutung häufig nicht bewusst und verwechseln diesen oftmals mit einem Bußgeldbescheid. Die Rechtsfolgen können allerdings für die Betroffenen weitaus gravierender sein. Die beiliegende Rechtsmittelbelehrung wird häufig nicht verstanden, und für Empfänger*innen mit unzureichenden Deutschkenntnissen fehlt es häufig an einer Übersetzung in ihre Muttersprache. Zudem werden die Anzahl und Höhe der Tagessätze oft unverhältnismäßig hoch angesetzt, da das monatliche Einkommen der Betroffenen von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten meist nur geschätzt und nicht genau ermittelt wird. Selten wird dies zum Anlass für einen Einspruch genommen. Aus Überforderung mit der Situation?

Das Strafbefehlsverfahren ist also ein Massenverfahren mit teilweise gravierenden Auswirkungen. Seit dem April 2024 untersucht daher ein Forschungsprojekt der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger*innen e.V. in Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität Frankfurt das Strafbefehlsverfahren in seiner praktischen Anwendung wissenschaftlich. In diesem Kontext sollen auch empirisch belastbare Daten als Ausgangspunkt für konkrete politische Forderungen generiert werden.

Gemeinsam mit Frau Dr. Carolin Weyand, Fachanwältin für Strafrecht, Vorstandsvorsitzende der Vereinigung Hessischer Strafverteidiger*innen e.V. und Initiatorin des Forschungsprojekts, möchten wir über den Forschungsgegenstand und das Vorgehen des Pilotprojekts diskutieren.

Nach einem Vortrag von Frau Dr. Carolin Weyand wird noch ausreichend Zeit für Fragen und eine Diskussion bleiben.

Geeignet erscheint Vortrag für kriminalpolitisch Interessierte, denen die sozialen Hintergründe besonders am Herzen liegen.