§ 221 I Anforderungen an die Gefahr und Begriff der schweren Gesundheitsschädigung
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Tod; Gefahr; Todesgefahr; Lebensgefahr; schwere Gesundheitsschädigung; hilflose Lage; Im Stich lassen; Versetzen; Gefährdungsdelikt
Problemaufriss
Im Rahmen des objektiven Tatbestands von § 221 stellt sich die Frage nach den Anforderungen an den Gefahrbegriff (konkrete oder abstrakte Gefahr) sowie an den Begriff der schweren Gesundheitsschädigung.
Problembehandlung
I. Anforderungen an den Gefahrbegriff
1. Gefahr und hilflose Lage
Die Tatbestandsmerkmale der hilflosen Lage und der Gefahrsind nach h.M. zu unterscheiden, da die Gefahr aus der hilflosen Lage, in die das Opfer versetzt bzw. darin im Stich gelassen werden muss, entstanden sein muss. Es handelt sich daher um zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale, die nicht unbedingt zusammen vorliegen müssen.
2. Gefahrbegriff
§ 221 ist ein konkretes Gefährdungsdelikt. Wie sich aus dem Wortlaut ergibt, darf der Gefahrzustand nicht nur abstrakt vorliegen, sondern muss im konkreten Fall auch eingetreten sein. (Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben StGB, 30. Aufl. 2019, § 221 Rn. 8). Eine konkrete Gefahr liegt dann vor, wenn der Nichteintritt einer Verletzung lediglich vom rettenden Zufall abhängig ist. Es sind sowohl die äußeren Umstände (Erreichbarkeit von Rettern, Entfernung zur Straße oder Stadt etc.), als auch die individuelle Verfassung des Opfers (Gesundheitszustand, Alter etc.) mit einzubeziehen (Lackner/Kühl/Heger StGB, 29. Aufl. 2018, § 221 Rn. 5). Der Gefahrbegriff setzt voraus, dass die Situation noch in für das Opfer günstiger Weise beeinflusst werden kann. Eine Gefahr besteht nicht mehr, wenn das Opfer bereits verstorben oder dem Tode geweiht ist und keine Rettung oder Hilfe, mehr möglich ist (Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben StGB, § 221 Rn. 8). Gleiches gilt für den Fall, dass durch die Aussetzung keine zusätzliche Gefährdung eintritt. Die Steigerung einer latenten Gefahr, z.B. Im Stich lassen einer schwer Erkrankten, ist für die Verwirklichung des § 221 I ausreichend (OLG Zweibrücken NJW 1998, 841 f.; Rengier Strafrecht BT II, 23. Aufl. 2022, § 10 Rn. 24; BT-Drs. 13/9064, 14).
Beispiel 1: M sperrt den vierjährigen S in der Wohnung ein bevor sie zum Einkaufen geht. Eine Strafbarkeit gem. § 221 I kommt nicht in Betracht, da S sich zwar in einer hilflosen Lage befindet, aber jedoch keiner konkreten Gefahr ausgesetzt ist (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Eser StGB § 221 Rn. 9).
Beispiel 2: Autofahrer A fährt Fußgänger F schuldhaft an und lässt ihn liegen. Dieser wurde bei dem Unfall tödlich verletzt und liegt im Sterben. Hilfsmaßnahmen sind sinnlos. Es besteht keine Gefahr, da eine Besserung des Zustandes für F nicht mehr möglich ist. Eine Strafbarkeit gem. § 221 kommt nicht in Betracht.
II. Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung
Das Merkmal der schweren Gesundheitsschädigung wird über die Aussetzung hinaus in zahlreichen anderen Vorschriften des StGB verwendet (z.B. §§ 113, 121, 125a, 176a, 177, 239, 250). Es erfasst auf jeden Fall alle qualifizierenden Erfolge des § 226. Darüber hinaus können noch weitere Verletzungserfolge eine schwere Gesundheitsschädigung begründen. Teilweise wird dafür verlangt, dass die Schädigungen einen mit § 226 vergleichbaren Schweregrad aufweisen (Wolters JuS 1998, 582, 584; Rengier Strafrecht BT II, § 10 Rn. 32). Dies wird aufgrund der Schwierigkeiten, die sich bei der Erstellung von Vergleichsmaßstäben ergeben, kritisiert (Nomos Kommentar StGB/Neumann/Saliger, 5. Aufl. 2017, § 221 Rn. 33). Stattdessen wird verlangt, dass die Gesundheit des Betroffenen ernstlich, einschneidend oder nachhaltig beeinträchtigt ist (BGH NStZ-RR 2007, 304, 306), was schon durch das Verfallen in eine ernste, langwierige Krankheit oder die erhebliche Beeinträchtigung der Arbeitskraft gegeben sein kann (vgl. BT-Drs. 13/8587, S. 27 f.; Wessels/Hettinger/Engländer Strafrecht BT I, 45. Aufl. 2021, Rn. 286).
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