Motivwechsel bei fortdauernder Gewaltwirkung
Tags
Raub; Motivwechsel; Vorsatzwechsel; Finalität; Wegnahmevorsatz; Zwangswirkung; Aufrechterhaltung; Fortwirkung; Drohung
Problemaufriss
Eine Strafbarkeit gem. § 249 erfordert, dass der Täter einer Person eine fremde bewegliche Sache "mit Gewalt" wegnimmt. Fraglich ist, wie ein Vorsatzwechsel zwischen Anwendung der Gewalt und der Wegnahme zu beurteilen ist. Liegt "Gewalt zum Zwecke der Wegnahme" i.S.d. § 249 I vor, wenn der Täter Gewalt gegen das Opfer ohne Wegnahmevorsatz anwendet und die Situation anschließend ausnutzt, um dem Opfer etwas wegzunehmen? Hierbei sind verschiedene Konstellationen denkbar:
Problembehandlung
Ansicht 1: Nach einer Ansicht kann die Ausnutzung der Gewaltwirkung zur Wegnahme mit folgender Konstruktion generell die Voraussetzungen des § 249 erfüllen: Ist der Ausnutzende zugleich Garant (aus Ingerenz), so ist die Nichtbeendigung der Gewaltwirkung pflichtwidrig und dem positiven Tun dann gleichwertig, wenn die Beendigung in der Möglichkeit des Täters steht (Münchener Kommentar StGB/Sander, 3. Aufl. 2017, § 249 Rn. 32 f.; Schönke/Schröder/Eser/Bosch StGB, 29. Aufl. 2014, § 249 Rn. 6b ff.; vgl. Lackner/Kühl/Kühl StGB, 29. Aufl. 2018, § 249 Rn. 4; Eser NJW 1965, 377, 380). Bei einer solchen Konstruktion ist zu beachten, dass zwischen Unterlassen und Wegnahme ein Finalzusammenhang gegeben sein muss. Demnach könnte Beispiel 3 zu einer Strafbarkeit des T nach § 249 I führen, während bei Beispiel 4 regelmäßig die Beendigung der Gewalteinwirkung (der Bewusstlosigkeit) für den Täter unmöglich ist.
Kritik: Die bloße Ausnutzung der Gewaltwirkung könne wegen der finalen Struktur des § 249 nicht als der "Gewaltanwendung zum Zwecke der Wegnahme" entsprechend gewertet werden. Zudem würde das Unterlassen regelmäßig nicht der aktiven Gewaltanwendung gem. § 13 entsprechen (vgl. Nomos Kommentar StGB/Kindhäuser, 5. Aufl. 2017, § 249 Rn. 24 f.).
Ansicht 2: Nach anderer Ansicht genügt die Ausnutzung der Gewaltwirkung nicht den Anforderungen des § 249 (vgl. Fischer StGB, 65. Aufl. 2018, § 249 Rn. 9a; BGH NStZ 2006, 508; NK/Kindhäuser, § 249 Rn. 24 f.). Bei Beispiel 4 wäre somit die Raubstrafbarkeit des T abzulehnen. Anders soll die Situation in Beispiel 3 bewertet werden. Liegt die Gewalthandlung in einer Freiheitsberaubung (§ 239), soll sich die Gewaltanwendung bis zur Aufhebung des rechtswidrigen Zustands fortsetzen (BGHSt 48, 365), da es sich bei § 239 um ein Dauerdelikt handelt.
Kritik: Hiergegen wird eingewendet, die Gewalthandlung liege im Unterlassen der Aufhebung des Zustands und es schließe sich daher die weitere Frage an, ob § 249 I auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann (Fischer StGB, § 249 Rn. 12b) (Hinweis: Dass § 249 I durch Unterlassen möglich ist, wird von Ansicht 1 angenommen).
Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 9.02 Uhr bearbeitet.
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