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Abschluss eines Wettvertrags als Erklärungswert







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Vertragsschluss; konkludente Täuschung; manipulierte Geschäftsrundlage; Quote; Risikogeschäfte; Spiel; Wettgeschäfte; Verkauf von Chancen; konkludente Täuschung; Täuschung durch Unterlassen; Unterlassen; Verkehrsanschauung; essentialia; Manipulation; Wettgrundlage; Informationsvorsprung; Hoyzer


Problemaufriss


Bei Spiel-, Wett- und Risikogeschäften geht es um den Verkauf von Chancen. Freilich kommen auch bei solchen Geschäften eine Täuschung und eine Strafbarkeit wegen Betrugs in Betracht.


Hier ist zwischen zwei Konstellationen zu differenzieren: In der ersten wird die Wettgrundlage durch Manipulation verändert. In der anderen geht es darum, dass ein Wettender einen Informationsvorsprung vor dem anderen erlangt.


Beispiel 1 (nach BGH NJW 2007, 782): T verspricht Bundesliga-Schiedsrichter S ein Geldbetrag von 30.000 €, damit dieser ein Fußballspiel zu Gunsten eines Vereins manipuliert. T setzt bei Buchmacher B einen erheblichen Betrag auf den Sieg dieses Vereins.


Beispiel 2 (nach BGH NJW 1961, 1934): A wettet bei Buchmacher B auf Pferderennen. Er platziert sog. Spätwetten, das heißt er wettet auf Rennen, die bereits begonnen haben. Sein Freund F befindet sich nämlich an der Rennbahn und gibt sofort nach dem Ende der Rennen das jeweilige Ergebnis an A weiter, noch bevor das amtliche Rennergebnis den Buchmacher B erreichen kann. So gewinnt A risikolos erhebliche Beträge.


Fraglich ist, ob in diesen Fällen beim Abschluss des Wettvertrags eine Täuschung über Tatsachen vorliegt. Tatsachen sind dem Beweis zugängliche Ereignisse oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit (Rengier Strafrecht BT I, 22. Aufl. 2020, § 13 Rn. 4). Im ersten Beispiel liegt der Ausgang des Fußballspiels in der Zukunft, sodass er kein Anknüpfungspunkt für eine Täuschung sein kann. Daher kommt insoweit nur eine Täuschung über die Manipulationsfreiheit des der Wette zugrunde liegenden Spiels in Betracht.


Problembehandlung


Ansicht 1: Einer Ansicht nach kann dem Vertragsangebot die Erklärung entnommen werden, dass der Wettende die Wettgrundlage nicht manipuliert hat. Der Inhalt einer auf Abschluss eines Wettvertrags gerichteten Willenserklärung richte sich nach dem objektiven Erwartungshorizont. Dieser sei entscheidend durch Umstände gekennzeichnet, die für den spezifischen Geschäftsverkehr unverzichtbar sind. Das bedeutet, dass der Vertragstyp den Erklärungsgehalt einer Willenserklärung normativ vorstrukturiert.


Gerade die Manipulationsfreiheit sei in diesem Sinne aber unverzichtbare Grundlage des Wettvertrags (sog. Essentialia) und präge entscheidend den normativ beeinflussten Erwartungshorizont des Vertragspartners. In der Abgabe einer Willenserklärung unter Verschweigen, das Spiel selbst manipuliert zu haben (Beispiel 1), sei daher eine Täuschung durch konkludentes Handeln zu sehen (Münchener Kommentar StGB/Hefendehl, 3. Aufl. 2019, § 263 Rn. 149 f.; BGH NJW 2013, 883 f.; NJW 2007, 782; NJW 1980, 793; NJW 1961, 1934; RGSt 20, 144).


Kritik: Dem wird entgegengehalten, die Handlung werde willkürlich in eine Erklärung umgedeutet. Die Willenserklärung sei einzig auf den Vertragsschluss gerichtet, sodass im Ergebnis ein Schweigen und damit ein – nur im Falle der Verletzung einer Garantenstellung über § 13 strafbares – Unterlassen in ein aktives Tun umgedeutet werde. Eine solche Vermischung von Tun und Unterlassen gerate wegen damit einhergehender Unbestimmtheiten mit dem Gesetzlichkeitsprinzip gem. Art. 103 II GG in Konflikt (Schlösser NStZ 2005, 423, 426).


Bei der Behandlung von bloßen Informationsvorsprüngen (vgl. Beispiel 2) ist man sich wiederum uneinig:


Ansicht 1a: Einer Ansicht nach ist in solchen Fällen das Vorliegen einer konkludenten Täuschung abzulehnen. Es komme entscheidend darauf an, wessen Risikosphäre das Sonderwissen zuzuordnen ist – derjenigen des Wettenden oder derjenigen des Wettanbieters. Grundsätzlich dürften die Parteien des Wettvertrages davon ausgehen, der Vertragspartner verfüge ausschließlich über solche Informationen hinsichtlich der Wettgrundlage, die auf rechtmäßigem Wege erlangt wurden und sich auf rechtmäßige Vorgänge beziehen. Existiert also ein legaler Weg, einen Wissensvorsprung zu erlangen, so trage der Wettanbieter das Risiko, dass dieses Sonderwissen zu seinem Nachteil genutzt wird. Rechtmäßig erlangtes Sonderwissen, wie im obigen Fall der Spätwette (Beispiel 2), könne keine konkludente Täuschung begründen (MK StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 152; BGH NStZ 2014, 317 f.; NJW 1961, 1934, 1935).


Aus der genannten Begründung ergibt sich indes die Konsequenz, dass sowohl rechtswidrig erlangtes Sonderwissen als auch solches Sonderwissen, das sich auf rechtswidrige Vorgänge bezieht, Anknüpfungspunkt für eine konkludente Täuschung sein kann. So täusche etwa, wer von speziellen Spielbedingungen durch installierte Abhöranlagen erfährt oder wer Kenntnis von Spielmanipulationen durch Dritte hat (MK StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 153).


Kritik zu 1a: Der Vertragspartner kann ein "Minimum an Redlichkeit" des anderen Teils voraussetzen. Daher soll auch rechtmäßig erlangtes Sonderwissen zu einer Täuschung bei Vertragsschluss führen. Denn die Geschäftsgrundlage eines Wettvertrages ist das Vorhandensein eines Risikos für beide Teile. Daher werde bei der Abgabe der Willenserklärung miterklärt, dass dieses Risiko besteht (Schönke/Schröder/Perron StGB, 30. Aufl. 2019, § 263 Rn. 14/15, 16e; Leipziger Kommentar StGB/Tiedemann, 12. Aufl. 2011, § 263 Rn. 31).


Ansicht 1b: Andere wiederum gehen davon aus, dass das Bestehen von Ungewissheit zur Grundlage des Wettvertrags gehört und damit bei Vertragsschluss konkludent miterklärt wird. Auch bei Nutzung bloßer Informationsvorsprünge sei demnach eine konkludente Täuschung anzunehmen (LK/Tiedemann, § 263 Rn. 31; Sch/Sch/Perron StGB, § 263 Rn. 14, 16e; Bockelmann NJW 1961, 1934, 1936).


Kritik zu 1b: Der Verweis darauf, dass der Vertragspartner ein "Minimum an Redlichkeit" voraussetzen dürfe, ist bedenklich, da § 263 nicht die Wahrheit oder Redlichkeit im Geschäftsverkehr schützt; mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 II GG ist eine solche Annahme daher problematisch. Für die Frage, ob etwas konkludent miterklärt wird, sind ausschließlich solche Umstände von Relevanz, die regelmäßig mitgedacht und daher kommuniziert werden; das sind die zivilrechtlichen essentialia negotii. Würde man über diese normativ vorstrukturierte Erwartungshaltung hinausgehende Erwartungshaltungen einer jeden Partei ohne weiteres berücksichtigen, bestünde die Gefahr, das Täuschungsmerkmal zu überdehnen (MK StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 150; Gaede HRRS 2007, 18, 19; BGH NJW 1961, 1934, 1935).


Ansicht 2: Einer ganz anderen Ansicht nach kommt in beiden Fällen lediglich eine Täuschung durch Unterlassen in Betracht. Eine etwaige vorherige Einflussnahme auf an dem Wettbewerb Teilnehmende sei ein Vortatverhalten, das mit der abgegebenen Erklärung nichts zu tun habe. In diesem Rahmen bestehe auch kein Unterschied zwischen manipulierten Spielen (Beispiel 1) und sog. Spätwetten (Beispiel 2); denn das Verhalten des Wettenden gegenüber dem Wettanbieter sei in beiden Fällen das gleiche.


Damit ein Unterlassen strafbar ist, müsste eine Rechtspflicht zur Aufklärung, das heißt eine Garantenstellung bestehen, § 13. Das sei in beiden Fällen abzulehnen. Zu denken sei zwar insbesondere an eine Garantenstellung aus Vertrag oder kraft Ingerenz. Beides scheide indes aus. Denn für eine Aufklärungspflicht aufgrund Vertrages ist über einen solchen Vertrag hinaus Voraussetzung, dass zwischen den Parteien – bspw. infolge langjähriger Geschäftserfahrung oder freundschaftlicher Verbundenheit – ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht. Daran fehle es zwischen Wettanbieter und Wettenden regelmäßig. Eine Garantenstellung kraft Ingerenz wiederum scheitere an dem dabei vorauszusetzenden Pflichtwidrigkeitserfordernis. Erforderlich für eine solche Garantenstellung ist nämlich ein Vorverhalten, das gegen eine Norm verstößt, die gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsgutes dient (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang). Das Verbot, Spiele zu manipulieren, diene jedoch nicht dem Schutz des Vermögens von Wettanbietern (vgl. Schlösser NStZ 2005, 423, 426).


Kritik: Die Teilnehmer am Rechtsverkehr müssen den Inhalt einer Aussage stets durch Auslegung gewinnen. Dabei kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an, der auch und gerade durch die rechtlichen Umstände beeinflusst ist und daher zu einer "Vorstrukturierung des Erklärungsgehalts aus dem Vertragstypus" führt. Selbstverständlichkeiten werden oft nicht ausgesprochen, im Rechtsverkehr aber stets vorausgesetzt und sind daher der konkludenten Täuschung zuzuordnen (MK StGB/Hefendehl, § 263 Rn. 149; Sch/Sch/Perron StGB, § 263 Rn. 14, 16e; LK StGB/Tiedemann, § 263 Rn. 31; Gaede HRRS 2007, 18, 19).















Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 9.43 Uhr bearbeitet.



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