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Unglücksfall i.S.d. § 323c







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Unglücksfall; plötzlich; Ereignis; Schaden; Eingreifen; Hilfeleisten; Sachwerte


Problemaufriss


Was ist ein Unglücksfall i.S.d. § 323c und welche Voraussetzungen sind an einen solchen geknüpft? Bzgl. welcher Rechtsgüter kann ein Unglücksfall angenommen werden und aus welcher Perspektive ist ein solcher festzustellen?


Problembehandlung


A. Definition Unglücksfall i.S.d. § 323c


Unglücksfall ist jedes mit einer gewissen Plötzlichkeit auftretende Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut mit sich bringt oder zu bringen droht (BGH NJW 1983, 350, 351; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker StGB, 29. Aufl. 2014, § 323c Rn. 5; Fischer StGB, 65. Aufl. 2018, § 323c Rn. 3a).


B. Voraussetzungen für das Vorliegen eines Unglücksfalls:



  1. Der Schaden darf noch nicht endgültig eingetreten sein.

  2. Das Merkmal der Plötzlichkeit darf nicht zu eng ausgelegt werden (BGHSt 6, 147, 152). Vielmehr ist das Vorliegen einer Situation, die zur Abwehr ein sofortiges Eingreifen gebietet, gemeint (Geilen JURA 1983, 78, 89).


C. Typische Beispiele


Typische Unglücksfälle sind Unfälle im Haushalt, im Straßenverkehr, unmittelbar drohende Gewalttaten oder vergleichbare Sachverhalte.


Krankheiten, auch solche schwererer Art, stellen nicht ohne Weiteres Unglücksfälle i.S.d. § 323c dar. Jedoch ist ein solcher dennoch bei plötzlicher und bedrohlicher Verschlimmerung der Krankheit anzunehmen (OLG Hamm NJW 1975, 604, 605). Damit vergleichbar ist auch die Endphase einer Schwangerschaft (OLG Düsseldorf NJW 1991, 2979).


Ob auch Selbstmordversuche Unglücksfälle i.S.d. § 323c darstellen ist umstritten (siehe Selbsttötung als Unfall). Jedenfalls nach der Rspr. (BGHSt 6, 147 ff.) und Teilen der Literatur (Dölling NJW 1986, 1011, 1016) ist dies zu bejahen.


D. Sachwerte als geschützte Rechtsgüter


Ob auch eine Gefahr für bloße Sachwerte ausreicht, um einen Unglücksfall zu bejahen, ist umstritten.


Ansicht 1: Die Rspr. und h.L. sprechen sich für die Einbeziehung von Sachwerten aus. Denn gerade hinsichtlich des Verhältnismäßigkeitsprinzips sei es angebracht, zumindest eine unmittelbare Gefahr für erheblich Sachwerte (wie z.B. kostbare Gemälde oder empfindliche technische Geräte) als Unglücksfall gelten zu lassen (BGHSt 2, 150 f.; Leipziger Kommentar StGB/Spendel, 11. Aufl. 2005, § 323c Rn. 43).


Kritik: Vermögenswerte sind prinzipiell ersetzbar und sicherbar. Eine Einbeziehung von Sachwerten würde damit allein die Versicherungen entlasten. Weder das Interesse der Versicherungen, noch das der derjeniger, die Prämien an die Versicherungen zahlen, sind aber geschützte Rechtsgüter i.S.d. § 323c.


Ansicht 2: Zum Teil wird in der Literatur der Kritik an der h.M. gefolgt und Sachwerte als geschützte Rechtsgüter des § 323c unter dem Hinweis darauf, dass eine Hilfspflicht in Bezug auf Sachen nichts mit mitmenschlicher Solidarität zu tun habe, abgelehnt (Seelmann JuS 1995, 281, 284). Diese Reduktion des Tatbestandes sei gerade im Hintergrund der Geschichte und des Zweckes des § 323c vorzunehmen. Denn eine Jedermannspflicht zum Einschreiten bzw. Hilfeleisten sein nur dann mit dem Freiheitsprinzip vereinbar, wenn Güter auf dem Spiel ständen, deren Verlust das Opfer im Kern seiner Rechtssubjektivität beeinträchtigen (Nomos Kommentar StGB/Gaede, 5. Aufl. 2017, § 323c Rn. 6).


Kritik: Es ist schwer einzusehen, warum der Verlust von Gegenständen mit erheblichen (Kultur-)Wert durch die Rechtsordnung gebilligt werden soll, selbst wenn diese versichert sind, und diese für immer verloren gehen.


E. Beurteilungsperspektive


siehe Beurteilung ex-post oder ex-ante


F. Herbeiführung eines Unglücksfalls durch ein gem. § 32 gerechtfertigtes Verhalten


Ob ein Unglücksfall auch in solchen Verletzungen bestehen kann, die durch einen gem. § 32 gerechtfertigten (Gegen-)Angriff herbeigeführt wurden, ist umstritten.


Ansicht 1: Nach einer Ansicht soll auch ein durch Notwehr gerechtfertigtes Verhalten geeignet sein, einen Unglücksfall herbeizuführen. Der Wortlaut (und mit ihm Art. 103 II GG) steht dem nicht entgegen, da nach dem normalen Sprachverständnis als "Unglücksfall" jede durch ein bestimmtes Ereignis herbeigeführte Gefahrenlage bezeichnet werden kann, die ein sofortiges Tätigwerden zur Gefahrabwendung erfordert (Sch/Sch/Sternberg-Lieben/Hecker StGB, § 323c Rn. 7). Auch dem in Notwehr Verletzten muss also grundsätzlich Hilfe geleistet werden (BGH NJW 1970, 2252, 2253; BGH NStZ 1985, 501; Rengier Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 42 Rn. 5).


Allenfalls steht in einer solchen Konstellation die Zumutbarkeit der Hilfeleistung infrage, sofern die Gefahr weiterer Angriffe durch den in Notwehr Verletzten besteht (Münchener Kommentar StGB/Freund, 3. Aufl. 2017, § 323c Rn. 97; Matt/Renzikowski/Renzikowski StGB, 2013, § 323c Rn. 20; LK/Rönnau/Hohn, § 32 Rn. 288).


Kritik: Dem Angegriffenen, der sich aus Notwehr verteidigt, würde hiernach durch das gegen ihn gerichtete verantwortliche Verhalten des Angreifers ein – durch § 323c bewirktes – Strafbarkeitsrisiko aufgezwungen. Dies wäre unbillig (NK/Gaede, § 323c Rn. 5).


Ansicht 2: Die Einstufung einer durch Notwehr gerechtfertigten Verletzung als "Unglücksfall" (für den Angreifer) stellt eine Überdehnung des Wortlauts von § 323c dar. Denn der Angreifer hat von vornherein mit einer Verteidigung durch den Angegriffenen zu rechnen – sofern sich diese in den Grenzen der Erforderlichkeit und Gebotenheit bewegt (AnwaltKommentar StGB/Conen, 2. Aufl. 2015, § 323c Rn. 22). Aus Sicht des Angreifers liegt daher weder sprachlich noch rechtlich ein "Unglück" vor, sondern eine ihm von Rechts wegen zuzurechnende Selbstgefährdung (NK/Gaede, § 323c Rn. 5).


Kritik: Ob der Angreifer mit der Verteidigung rechnen musste oder nicht, ist für den Unglücksfall vollkommen irrelevant. Denn für die Annahme eines solchen kommt es nicht auf einen Überraschungsmoment an (Matt/Renzikowski/Renzikowski StGB, § 323c Rn. 7).















Die Seite wurde zuletzt am 18.4.2023 um 11.24 Uhr bearbeitet.



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