16.12.2022


Die „Klima-Kleber”

Im Kontext eines tödlichen Unfalls im Berliner Straßenverkehr erreichte die Debatte über die „Letzte Generation“, die vor allem durch Blockadeaktionen und Attacken auf berühmte Gemälde von sich reden macht, ihren bisherigen Höhepunkt. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt sprach von der „Klima-RAF“, Parteikollege Söder forderte, der Staat solle klare Kante zeigen und in besonders schweren Fällen mit Haftstrafen reagieren.

https://strafrecht-online.org/welt-dobrindt-raf

Die Ampel-Koalition war sich ausnahmsweise einmal einig und erteilte dem Antrag „Straßenblockierer und Museumsrandalierer härter bestrafen – Menschen und Kulturgüter vor radikalem Protest schützen” eine klare Absage (BT-Drs. 20/4310).

Allerdings machen wir auch bei ihr erhebliche Kritik aus. So lehnte Bundesjustizminister Buschmann ein auf den 10. November angesetztes Gespräch mit den Aktivist:innen ab. Begründung: Die Verletzung von Rechten Dritter durch Normbrüche sei keine gute Grundlage für einen Dialog. Dass die Regierung zugleich selbst beharrlich gegen geltendes Völkerrecht in Form des Pariser Klimaabkommens verstößt, scheint Buschmann hierbei verdrängt zu haben. Weil es hier nicht um Individuen, sondern „nur“ die Welt geht? „Um den Rechtsstaat zu verteidigen“, ließ er sich am vergangenen Sonntag bei Anne Will dann doch auf ein Gespräch ein.

https://strafrecht-online.org/ts-buschmann

Dass der Ruf nach Strafschärfungen ausgerechnet aus Bayern kommt, verwundert uns dabei nur mäßig. So wurden dort am 4. November 15 Aktivist:innen in sog. „Vorbeugehaft” festgesetzt. Als Rechtsgrundlage muss hierfür Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 a) bzw. c) des bayerischen PAG herhalten, der in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eine maximale Haftdauer von bis zu zwei Monaten zulässt.

https://strafrecht-online.org/verfassungsblog-17-pag

Ziel dieser als Mittel gegen „islamistische Gefährder“ eingeführten Präventivhaft soll es sein, drohende Terroranschläge zu verhindern. Auch wenn es keine allgemeingültige Definition des Terrorismusbegriffs gibt, machen wir den Einsatz von Gewalt und das Erfordernis eines politischen Hintergrundes als anerkannte Schnittmenge aus.

Beides gegeben, so könnte man auf den ersten Blick meinen.

Aber sichern wir uns durch einen Blick in das Strafgesetzbuch ab. So wird eine terroristische Vereinigung im Sinne von § 129a StGB dadurch charakterisiert, dass ihre Tätigkeit auf die Begehung schwerwiegender Delikte gerichtet ist. Die „Klima-Kleber” hingegen achten stets darauf, Menschenleben nicht einmal zu gefährden, etwa indem sie Rettungsgassen mit Aktivist:innen besetzen, die nicht festgeklebt sind, um so im Ernstfall schnell die Fahrbahn räumen zu können.

https://letztegeneration.de/mitmachen/

Die EU wiederum nennt im achten Erwägungsgrund ihrer Richtlinie (EU) 2017/541 eine eigene Definition, die auch in § 129a Abs. 2 StGB a.E. zu finden ist. Hiernach sind terroristische Straftaten solche, die mit dem Ziel begangen werden, (1.) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, (2.) öffentliche Stellen […] rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen und (3.) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates […] ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören.

Terrorismus ist demnach vor allem eine Kommunikationsstrategie, bei der die Verbreitung von Angst und Schrecken im Vordergrund steht. Durch dessen Unberechenbarkeit und psychisch vermittelte „Gewalt” soll auf die Bürger:innen in bedrohender Form eingewirkt werden. Auch wenn der selbsternannte Klimaexperte Markus Lanz beim Thema Beeinträchtigung von Kunstwerken geradezu panisch reagiert. Eine Einordnung als „schwerwiegende Einschüchterung” würde nur dann tragen, wenn die Welt aus übervorsichtigen Kunstdirektor:innen bestünde. 

https://www.youtube.com/watch?v=CbzsFZyzL94 [ab Min. 31]

Erklärtes Ziel der Aktivist:innen ist es, die Regierung unter Druck zu setzen und so zu einem entschiedeneren Vorgehen gegen den Klimawandel zu bewegen, was ihnen laut Protestforscher Christian Volk auch „sehr gut” gelingt.

https://strafrecht-online.org/morgenpost-protest

Ihre Strategie, öffentliche Stellen zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen, hat die „Letzte Generation” also durchaus gemein mit terroristischen Vereinigungen. Da die Qualität der Druckmittel allerdings eine andere ist und Terrorist:innen kein Patent auf politische Druckausübung haben, fällt die Argumentation, es drohe die Entstehung einer „Klima-RAF“, in sich zusammen. Ein solches Feindbild zu zeichnen ist nicht mehr als billige Propaganda.

https://sz.de/1.5702467 [kostenloses Probeabo]

Denn jedem Protest ist gerade der Zweck immanent, politische Entscheidungsträger zu einem Handeln oder Unterlassen zu bewegen. Die Regierung auf Missstände aufmerksam machen zu können, die man als Einzelperson nicht zu beheben vermag, macht eine funktionierende Demokratie aus.

Schließlich zielen die Aktionen auch nicht darauf ab, den Staat ernsthaft zu destabilisieren, indem die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre Werte bedroht werden. Dies hält sogar der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Haldenwang für „Nonsens”. Im Gegenteil, viel besser als die „Letzte Generation” es tut, könne man gar nicht ausdrücken, wie sehr man das System eigentlich respektiert und retten möchte, indem man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.

https://www.faz.net/-gpg-azti0

Die jüngste UN-Klimakonferenz führte uns einmal mehr vor Augen, wie dramatisch weit wir von der Erreichung des 1,5 °C-Ziels entfernt sind. Während über Forderungen nach Strafverschärfungen umgehend intensiv beraten wird, geht es mit einer „Klimareform“, die ihren Namen verdienen würde, weitaus schleppender voran. Manchmal hilft vielleicht nur ein lauter Aufschrei, immerhin führten all die anderen demokratischen Mittel nicht zum erforderlichen Umdenken. Gerade dass viele sich auf die angeklebten Aktivist:innen fokussieren und über diese echauffieren, ohne sich dabei mit dem bevorstehenden Klimakollaps zu befassen, steht sinnbildlich für die gesamte Klimadebatte und ist damit auch Teil der Botschaft der „Letzten Generation“.