Beihilfe nach Vollendung und vor Beendigung der Tat (sukzessive Beihilfe)
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Beihilfe; sukzessive Beihilfe; Vollendung; Beendigung; sukzessiv; nachträglich
Problemaufriss
Anders als bei der Mittäterschaft ist allgemein anerkannt (BGHSt 2, 344, 346; Münchener Kommentar StGB/Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, § 27 Rn. 17; Leipziger Kommentar StGB/Schünemann/Greco, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 39), dass der Gehilfe seine Hilfestellung zur Tat auch schon im Vorbereitungsstadium der Haupttat erbringen kann (z.B. durch Beschaffen des Tatmittels).
Ebenso unstreitig (BGH NStZ 2000, 31; Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 51. Aufl. 2021, Rn. 909) ist eine Beihilfe nach der materiellen Beendigung der Haupttat nicht mehr möglich.
In ähnlicher Weise wie bei der Mittäterschaft ist dagegen umstritten, ob die Hilfeleistung zwischen Vollendung und Beendigung erfolgen kann.
Beispiel (abgewandelt nach BGHSt 4, 132): A, B und C entwendeten Schrott von einem Schrottlager des O, das mit einem 1,30m hohen Drahtseil abgesperrt war. Sie krochen unter dem Seil hindurch, schafften den Schrott vom Platz und brachten ihn auf einer Handkarre ca. 500m fort, wo sie ihn versteckten. Am folgenden Tag gaben sie dem G Bescheid, dass er den Schrott auf seinen Lastwagen verladen und abfahren sollte. Als sich G dem Versteck näherte, erkannte er sofort, dass der Schrott nur vom nahegelegenen Schrottplatz des O stammen konnte. Gleichwohl verlud er den Schrott und verbrachte ihn an einen sicheren Ort.
Problembehandlung
Ansicht 1: Nach verbreiteter Literaturmeinung (LK/Schünemann, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 43 f.; Systematischer Kommentar StGB/*Hoyer,*9. Aufl. 2017, § 27 Rn. 18; Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 12; Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 26 Rn. 259 ff.; Kühl Strafrecht AT, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 233, 236) ende die Möglichkeit einer sukzessiven Beihilfe mit der Vollendung der Haupttat. Eine Ausnahme davon sei nur bei Dauerdelikten anzuerkennen (LK/Schünemann, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 47; Kindhäuser/Zimmermann Strafrecht AT, 8. Aufl. 2020, § 42 Rn. 28). Zudem würden sonst Beihilfe und Begünstigung i.S.d § 257 parallel laufen trotz unterschiedlicher Strafandrohungen (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 51. Aufl. 2021, Rn. 911).
Beispiel: Mit Wegnahme, vorliegend demnach mit Verbringung des Schrotts vom Gelände des Schrotthändlers, wurde die Tat vollendet. Damit endet nach dieser Ansicht auch die Möglichkeit zur Beihilfe.
Kritik: Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Vollendung fördert die Rechtssicherheit nicht, da die Feststellung des Vollendungszeitpunkts in tatsächlicher Hinsicht oftmals Probleme bereitet. Außerdem kann der Erfolg einer Tat erst dann endgültig nicht mehr gefördert werden, wenn die Tat ihren materiellen Abschluss gefunden hat (Schönke/Schröder*/Heine/ Weißer* StGB, 30. Aufl. 2019, § 27 Rn. 20).
Ansicht 2: Die Rechtsprechung und Teile der Literatur (BGHSt 6, 248, 251; 19, 323, 325; Fischer StGB, 69. Aufl. 2022, § 27 Rn. 6 f.) erkennen jedoch auch die Möglichkeit einer Beihilfe über den Vollendungszeitpunkt hinaus bis in die Beendigungsphase der Haupttat an. Hier stellt sich die Folgefrage nach dem Verhältnis zwischen Beihilfe zur Haupttat und Begünstigung (§ 257). Die Rspr. (BGHSt 4, 132, 133; OLG Köln NJW 1990, 587, 588) grenzt nach der inneren Willensrichtung des Beteiligten ab: Will er die Haupttat beenden helfen, so liegt Beihilfe zu dieser Tat vor; Will er dem Täter die Vorteile der Vortat sichern, so liegt Begünstigung vor. Vergleiche hierzu auch das entsprechende Problemfeld.
Beispiel: Danach könnte G hier noch Diebstahlsgehilfe sein, da Beendigung bei Diebstahl eine gewisse Festigkeit des neu begründeten Gewahrsam voraussetzt (vgl. Schönke/Schröder/Bosch StGB, 30. Aufl. 2019, § 242 Rn. 73).
Kritik: Die Hilfeleistung erfolgt nicht mehr zur Tatbestandsverwirklichung, wenn diese im Zeitpunkt der Hilfeleistung bereits vollendet war. Die Beendigungsphase ist nicht Teil des tatbestandlich vertypten Unrechts, sondern dient allein der faktischen Sicherung der unrechtmäßig erlangten Beute (Systematischer Kommentar StGB/*Hoyer,9. Aufl. 2017\, § 27 Rn. 18; MK/*Joecks/Scheinfeld, 4. Aufl. 2020, § 27 Rn. 22). Eine Erfassung späterer Unterstützung als Beihilfe zur Tatbestandsverwirklichung verstößt daher gegen Art. 103 II GG (LK/Schünemann, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 43). Zudem birgt das Abstellen auf den Beendigungszeitpunkt erhebliche Rechtsunsicherheiten in sich, da für die Bestimmung desselben keine allgemeingültigen Regeln existieren (Studienkommentar StGB/Joecks/Jäger, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 12; LK/Schünemann, 13. Aufl. 2021, § 27 Rn. 43). Schließlich überzeugt die Abgrenzung zu § 257 nach der Willensrichtung nicht, denn der Hilfeleistende darf nicht deswegen von einer gegenüber § 257 u.U. strengeren Haftung wegen Beihilfe verschont bleiben, weil er eine Vorteilssicherung anstrebt (Wessels/Hillenkamp/ Schuhr Strafrecht BT II, 43. Aufl. 2020, Rn. 806; Schönke/Schröder/Hecker StGB, 30. Aufl. 2019, § 257 Rn. 7).
Hinweis: Zu beachten ist schließlich, dass oftmals auch eine psychische Beihilfe gegeben sein kann. So läge es beispielsweise, wenn G im o.g. Fall nach BGHSt 4, 132 den Tätern bereits vor der Tatausführung seine Unterstützung hinsichtlich der Verbringung der Beute zugesichert hätte.
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Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.51 Uhr bearbeitet.
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